Zwei Personen schauen rauf ins Licht.

Tränen

«Weinen ist befreiend»

Anne Barth­-Gasser ist Bereichsleiterin der Seelsorge bei der soH. Im Interview erzählt sie, warum es gut tun kann, den Tränen einfach freien Lauf zu lassen.

▶ Frau Barth, in Ihrem Alltag sind Sie regelmässig in Kontakt mit Patientinnen und Patienten, die sich in schwierigen Situationen befinden. Wie gehen Sie auf die Menschen zu?
Wir arbeiten im Alltag sehr eng mit dem Pflegepersonal zusammen. Sie spüren häufig, wenn eine Patientin oder ein Patient seelsorgerische Unterstützung brauchen könnte, und geben uns einen entsprechenden Hinweis. Ab und zu kommt es vor, dass Menschen von sich aus ein Gespräch mit uns wünschen. Und bei Patientinnen und Patienten, die lange im Spital sind, gehe ich auch mal selber vorbei und frage, wie es ihnen geht.

▶ Wie fangen Sie ein Gespräch an?
Wir tragen keine Spitalkleidung. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns gleich zu Beginn vorstellen und unsere Funktion erklären. Wichtig ist, dass wir zeigen können, dass wir Zeit haben für ein Gespräch. Ich frage danach, wie es den Menschen geht. Und häufig spüre ich dann schnell, ob eine Person reden möchte oder nicht. Wenn ich zuhöre, dann werte ich nicht. Ich habe eine positive, würdigende Grundhaltung. Das bedeutet, dass ich anerkenne, was die Person bisher erlebt hat.

▶ Fassen die Menschen schnell Vertrauen zu ihnen?
Das ist unterschiedlich. Manchmal braucht es einen Moment, bis genug Vertrauen entsteht, um über schwierige Situationen zu sprechen. Dann fangen wir mit einem leichteren Thema an. Und es gibt auch Menschen, die uns nicht brauchen, und die gar kein Gespräch wünschen.

▶ Wie spenden Sie Trost?
Das ist eine grosse Frage, die sich nicht so leicht beantworten lässt. Ich stelle aber fest, dass es oft schon hilft, den Menschen Raum zu geben. Ihnen zu ermöglichen, darüber zu reden, was sie traurig macht oder ihnen Sorgen bereitet. Es geht darum, die Emotionen zuzulassen, und auch mal klagen zu dürfen. Wir werten nicht ab, und wir eilen auch nicht sofort mit einem Ratschlag herbei. Nach dieser Phase versuchen wir, gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten, nach Hoffnungs- punkten in ihrem Leben zu suchen. Wir suchen nach den Dingen, die ihnen Halt geben. Das kann die Familie sein, oder auch ein Freund, eine liebe Nachbarin, ein verständnisvoller Hausarzt. Wir helfen auch dabei, sich mit Akteuren wie der Krebsliga oder einem Sozialdienst zu vernetzen.

▶ Welche Rolle spielt das Weinen, um Trauer zu verarbeiten?
Tränen sind eine Art, Trauer auszudrücken. Ob jemand bei Trauer weinen muss, ist individuell. Aber wenn die Tränen kommen, dann darf man ihnen freien Lauf lassen. Es gibt wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass man beim Weinen Stress im Körper abbauen kann. Damit hat der Prozess, sich etwas von der Seele zu reden, auch eine stresslösende Wirkung auf den Körper.

▶ Kommen Ihnen auch selber die Tränen?
Es gibt Situationen, die auch mich sehr berühren. Aber das darf ja auch so sein. In diesen Situationen teile ich das den Menschen mit, damit sie meine Reaktion einordnen können. Einmal habe ich ein Elternpaar begleitet, das ihr ungeborenes Kind am Tag des Geburtstermins verloren hat. Ich habe selber Kinder, und das ging mir wirklich sehr nahe.


Die Seelsorgerinnen und Seelsorger an unseren Standorten sind für unsere Patientinnen und Patienten, ihre Angehörigen und die Mitarbeitenden da.

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