POSTTRAUMATISCHE BELASTUNGSSTÖRUNGEN UND GENDER

Wenn die Vergangenheit wiederkommt

Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine Reaktion auf ein traumatisches Ereignis. Am besten bekannt ist sie im Zusammenhang mit Kriegsopfern. Frauen sind anfälliger für posttraumatische Belastungsstörungen als Männer – doch heute weiss man, dass auch das Alter offenbar eine grosse Rolle spielt.

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist definiert als Reaktion auf ein Ereignis von aussergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmass, das bei nahezu jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde. Darauf folgen immer wiederkehrende Erinnerungen oder ein Wiedererleben der Belastung durch verschiedene interne und externe Auslöser wie Alpträume oder Nachhallerinnerungen sowie Vermeidungsverhalten in Bezug auf Umstände, die dem Ereignis ähneln oder im Zusammenhang damit stehen. Zudem bestehen Erinnerungsschwierigkeiten in Bezug auf einzelne Aspekte des Ereignisses oder anhaltende Symptome einer erhöhten Sensitivität oder Erregung. Als Trauma (griechisch für «Wunde») gehören neben Gewalt-, Katastrophenerlebnissen oder Unfällen aber auch somatische Erkrankungen wie etwa Krebs bei sich oder nahen Angehörigen. Das Erleben der eigenen Hilflosigkeit und das Gefühl des Kontrollverlustes kann zu traumatischen Folgen bei den betroffenen Personen führen.


Häufigkeit von Erlebnissen und PTSB

Erlebnis
Vergewaltigung
Sexuelle Belästigung
Krieg
Drohungen mit Waffen
Körperliche Gewalt
Unfälle
Zeuge von Unfällen, Gewalt
Feuer-/Naturkatastrophen
Misshandlungen in der Kindheit
Vernachlässigungen in der Kindheit
Andere lebensbedrohliche Situationen
Andere Traumen
Irgendein Trauma

Häufigkeit Trauma
5,5
7,5
3,2
12,9
9
19,4
25
17,1
4
2,7
11,9
2,5
60

Häufigkeit PTSB
55,5
19,3
38,8
17,2
11,5
7,6
7
4,5
35,4
21,8
7,4
23,5
14,2


Männer reagieren anders als Frauen

Untersuchungen zeigen, dass posttraumatische Belastungsstörungen bei Frauen etwa doppelt so häufig auftreten wie bei Männern. Aber nicht nur das Geschlecht, sondern auch das Alter beeinflusst offenbar die Wahrscheinlichkeit, an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken. Untersuchungen zeigten, dass PTBS bei Männern am häufigsten zwischen 41 und 45 Jahren diagnostiziert wird, bei Frauen liegt die kritische Phase zwischen 51 und 55 Jahren. Ausserdem scheint es, dass sexuelle Traumatisierungen möglicherweise stärkeres emotionales Leid hervorrufen als andere Traumata, wie etwa Naturkatastrophen. Dies allein kann die erhöhten PTBS-Raten von Frauen jedoch nicht erklären, denn auch bei gleicher Art von Traumatisierung waren die Konsequenzen für Frauen meistens gravierender. Es wird spekuliert, dass bei Frauen die hormonellen Umstellungen in der Menopause die Anfälligkeit für PTBS erhöht. Bei den Männern könnte der für die Lebensphase jenseits der 40 typische erhöhte private und berufliche Stress ein Grund sein. Womöglich wirken sich auch geschlechtsspezifische Rollenerwartungen aus. Laut Statistik erkranken Männer seltener als Frauen, obwohl ihnen häufiger traumatische Erlebnisse widerfahren. Dies zeigt eine Analyse von 290 Studien aus den Jahren 1980 bis 2005. Demnach sind Frauen häufiger Opfer von sexueller Gewalt, Männer sind öfter in Unfälle, Überfälle, Katastrophen oder Kriege involviert.

Selbsttest

Haben Sie in Ihrem Leben jemals eine Erfahrung gemacht, die so beängstigend, schrecklich oder erschütternd war, dass Sie im letzten Monat…

  1. …Alpträume davon hatten oder daran gedacht haben, auch wenn Sie es nicht wollten?
  2. …sich sehr bemüht haben, nicht daran zu denken oder sich grosse Mühe gegeben haben Situationen zu vermeiden, die Sie daran erinnerten?
  3. …ständig auf der Hut, wachsam oder leicht zu erschrecken waren?
  4. …sich wie abgestumpft gefühlt haben oder entfremdet von anderen Menschen, Aktivitäten oder Ihrer Umgebung?

Wenn drei oder alle vier Fragen mit Ja beantwortet werden, empfiehlt sich eine weitergehende Diagnostik. Dieser Selbsttest gibt jedoch keine zuverlässige Auskunft über posttraumatische Belastungsstörungen. Im Zweifelsfall empfiehlt sich immer das Gespräch mit einer Vertrauensärztin oder einem Vertrauensarzt.

Quelle: «Primary and Hospital Care» 2018;18(12):212–216

Männer zeigen eher Verhaltensprobleme

Als Folge von traumatischen Erlebnissen zeigen Männer eher Verhaltensprobleme, Aggression oder Drogenkonsum, bei Frauen treten häufiger Angststörungen oder Depressionen auf. Je grösser die Anzahl der durchlittenen Traumata desto schwieriger ist die Bewältigung. Gelingt es aber ein Trauma zu bewältigen und in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren, kann so etwas wie seelische Reifung entstehen. Unter diesem Begriff versteht man Eigenschaften, die der oder die Betroffene nach Bewältigung zeigt. Dazu gehören:

  • Mehr Mitgefühl und Empathie für andere, die ein Trauma oder einen Verlust erleben
  • Vermehrte psychologische und emotionale Reife im Vergleich zu Gleichaltrigen
  • Erhöhte Resilienz (Widerstandsfähigkeit) gegenüber Schicksalsschlägen
  • Mehr Wertschätzung für das Leben im Vergleich zu Gleichaltrigen
  • Vertieftes Verständnis für die eigenen Werte, Lebenszweck und Lebenssinn
  • Mehr Wertschätzung persönlicher Beziehungen

Autorin

Dr. med. Michaela Harzke ist Leiterin des Diagnostik- & Krisenzentrums sowie der Notfall- & Krisenambulanz der Psychiatrische Dienste der Solothurner Spitäler AG.

Nützliche Links

Notfall- und Krisenambulanz (NoKiA) – Kontaktdaten für Psychiatrische Notfälle in den Solothurner Spitälern
promentesana.ch – Kostenlose psychosoziale und juristische Telefonberatung für psychisch kranke Menschen und deren Angehörige.
seelsorge.ch Erfahrene Seelsorgerinnen und Seelsorger kümmern sich um Menschen in schwierigen Situationen und bieten ihnen Sinn stiftende Beratung.
angehoerige.ch – Adressen für Beratungen für Angehörige. Es können auch Angehörige beraten werden, deren erkranktes Familienmitglied (oder nahestehende Person) noch in keiner Behandlung ist.
reden-kann-retten.ch – Suizidprävention, wenn jemand Suizidgedanken hat oder jemanden kennt, der möglicherweise Suizidgedanken hat.


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