INTERVIEW MIT REGULA GASSER

«Kräfte aufzubauen ist wichtig»

Regula Gasser ist Psychoonkologin am Kantonsspital Olten. In ihrer langjährigen Arbeit mit Krebs-Patient*innen konnte sie viele wertvolle Erfahrungen sammeln. Im Interview gibt sie Auskunft über die psychischen Auswirkungen von Krebserkrankungen – insbesondere auch auf Angehörige.

Regula Gasser, Sie arbeiten als Psychoonkologin am Kantonsspital Olten. Was hat Sie dazu bewogen, sich als Psychologin dem Thema Krebs zu widmen?

Für mich war das eine Rückkehr zum Thema Krebs. Beruflich bin ich schon seit 30 Jahren in verschiedenen Funktionen mit diesem Thema verbunden. Das begann damals mit meiner Ausbildung zur Pflegefachfrau. Mich bewegten die Schicksale der Krebspatient*innen stets sehr, und ich schätzte die Zusammenarbeit mit einem interprofessionellen Team. Daher entschloss ich mich zu einer Zusatzausbildung in der Onkologiepflege. Berufsbegleitend absolvierte ich dann das Psychologiestudium und arbeitete bei verschiedenen Forschungsprojekten zum Thema posttraumatisches Wachstum/Resilienz mit. Mich interessierte, wie wir als Fachpersonen Patient*innen und Angehörige bei der Bewältigung und Verarbeitung einer schweren Erkrankung unterstützen zu können.

Welche Erfahrungen sammelten Sie in der Onkologiepflege?

Immer wieder durfte ich miterleben, dass aus dem Leiden und dem Schmerz der Erkrankung Neues entstand. Zum Beispiel erzählten mir Patient*innen von ihrer veränderten Sicht auf das Leben. Dass sich ihre Beziehungen vertieft und ihre Prioritäten verschoben haben. Oft berichteten Patient*innen auch darüber, dass sie durch den Krebs gelernt haben, besser auf sich zu achten. Diese Erfahrungen sind für mich eine grosse Ressource: in einem herausfordernden Arbeitsumfeld inmitten des Leidens an solchen Entwicklungsprozessen Anteil nehmen zu dürfen.

Welche Themen beschäftigen Angehörige?

Wie bei Patient*innen auch, wird der Alltag durchbrochen: Nichts ist mehr so, wie es vorher war. Angehörige empfinden die Hilflosigkeit oft als belastend. Manche ziehen sich dann zurück; anderen ist es ein Bedürfnis, möglichst viel Unterstützung zu geben. Da spielen auch familiär geprägte Bewältigungsstrategien eine Rolle. Ausserdem fühlen sich Angehörige vor allem bei länger dauernden Krankheitsverläufen erschöpft. Viele Behandlungen werden ambulant durchgeführt – dadurch sind Angehörige mit Fahrdiensten und Begleitung zu den Terminen stark gefordert. Wenn da noch berufliche Verpflichtungen hinzukommen, stossen Viele an ihre Grenzen. Die eigenen Bedürfnisse werden nicht selten zurückgestellt. Auf einmal stellt sich dann ein Gefühl ein, an den Grenzen seiner Kräfte zu sein.

Finden auch Sitzungen mit Angehörigen zusammen statt?

Ja. Mir ist es wichtig, Angehörige miteinzubeziehen. Ich frage stets bei Patient*innen aktiv nach, wie es ihren Angehörigen geht und ob das Bedürfnis für ein Gespräch vorhanden ist. Viele äussern den Wunsch, die Angehörigen zu einem Gespräch mitnehmen zu dürfen. Teilweise gibt es auch Einzelsitzungen mit den Angehörigen.

Wann sollte man sich als Angehörige psychologische Unterstützung holen?

Ich denke, für Angehörige ist es generell sehr wertvoll, auch mal darüber zu reden, wie es ihnen geht. So können sie besser verstehen, welche Prozesse bei ihnen gerade ablaufen. Besonders wichtig ist es, sich Hilfe zu holen, wenn die Erschöpfung in einem fortgeschrittenen Stadium ist. Beispielsweise wenn Schlafstörung oder andere körperliche Symptome auftreten. In den Sitzungen erarbeiten wir gemeinsam Strategien, mit den schwierigen Situationen besser umgehen zu können. Wir versuchen, Burnouts zu verhindern.

Wie laufen Einzelsitzungen mit Angehörigen ab?

Oft beginne ich damit, zu sagen: „Bei diesem Gespräch stehen Sie ganz im Mittelpunkt“. Ich frage nach, wie sie die Zeit nach der Diagnose erlebt haben und wie sie bisher damit umgegangen sind. Mein Ziel ist es, den Bezug zu sich selbst und den eigenen Ressourcen zu stärken. Oft hilft auch, wenn die Angehörigen durch das Gespräch ihr eigenes Verhalten oder unterschiedliche Erlebensweisen innerhalb des Familiensystems besser verstehen können.

Gibt es allgemeingültige Tipps für Angehörige von Krebspatient*innen?

Ich persönlich bin mit Tipps eher zurückhaltend, weil jede Person anders auf eine solche Diagnose reagiert; aufgrund des persönlichen Hintergrunds und den mitgebrachten Erfahrungen. Ich unterstütze jeweils das Verständnis der Angehörigen für das eigene Verhalten und stärke Ressourcen, die ich bei ihnen wahrnehme. Wir sprechen zudem über individuelle Möglichkeiten, Kraft zu schöpfen – zu solchen Aktivitäten ermutige ich die Angehörigen! Immer wieder berichten Angehörige über Schuldgefühle, Aktivitäten nachzugehen, an denen der/die Patient*in aufgrund der Krankheit nicht teilhaben kann. Das erfordert immer wieder auch gegenseitiges Verständnis für verschiedene Bedürfnisse. Aber es ist wichtig, seine Kräfte immer wieder aufzubauen, um in Krisensituationen Unterstützung leisten und dabei gesund bleiben zu können.

Wir freuen uns über Ihre Kommentare zum Interview!


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