Leben mit Multipler Sklerose

«Möchte so bleiben, wie ich jetzt bin»

Mit Multipler Sklerose kann man leben und mit etwas Glück auch ohne allzu grosse Einschränkungen alt werden. Dann gibt es aber auch schwere Verläufe, wie derjenige von Andrea Anja Sauter. Auch damit kann man leben – einfach ist es jedoch nicht.

«Multiple Sklerose wird nie besser. Sie wird höchstens weniger schlimm. Ich denke oft, dass Menschen, die durch einen Unfall behindert werden, vielleicht einfacher lernen, damit umzugehen, weil sie sofort wissen, was sie nicht mehr können. Bei Multipler Sklerose, MS, weiss man hingegen nie, welche Fähigkeiten man noch verlieren wird.

Es war im Mai 2000, ich war 28 Jahre alt, als ich die Diagnose erhielt. Sieben Jahre danach folgte der erste Stock. Ohne Gehhilfe ging es plötzlich nicht mehr. Kurz darauf der zweite Stock. Irgendwann der Rollator. Ich wehrte mich dagegen. Eine 35-jährige Frau am Rollator? Um Himmels Willen, nein. Nach einigen Versuchen und vor allem der Überwindung, mich draussen mit einem Rollator sehen zu lassen, überwand ich aber meine Scheu und ich muss sagen, es war eine tolle Gehhilfe.

2012 wollte die damals behandelnde Ärztin meine Medikamente umstellen und wir unterbrachen die Behandlung für zwei Wochen. In diesen zwei Wochen hatte ich einen schweren Schub, danach konnte ich nicht mehr gehen. Nicht einmal mehr am Rollator. Seither sitze ich im Rollstuhl.

Das Reden fällt mir zunehmend schwerer, manchmal verstehen mich andere nicht mehr. Ich, die so gerne redet. Ich weiss, man sollte keine Angst haben. Aber wenn man nicht weiss, was einem die Krankheit noch alles nehmen wird, ist dies ziemlich belastend. Ich war kürzlich in den Ferien, organisiert von der MS-Gesellschaft. Das war schön und erschreckend zugleich. Einerseits sah ich viele Menschen, die einigermassen beschwerdefrei mit der Krankheit leben können, andererseits aber auch MS-Betroffene, die noch viel stärker eingeschränkt sind als ich. Ausblenden kann ich die Krankheit nie, sie ist immer da. Und Sie glauben nicht, wie viele Leute das Gefühl haben, ich sei nicht mehr ganz gut im Kopf, nur weil ich nicht mehr richtig sprechen kann. Dagegen wehre ich mich jeweils deutlich. Gegen solche Vorurteile muss man ankämpfen.

Bevor mich die Krankheit zu stark einschränkte, arbeitete ich als Opti­kerin. Ein Traumberuf. Stellen Sie sich vor, ich bekomme immer noch hin und wieder Grüsse von ehemaligen Kunden ausgerichtet. Das ist schön. Irgendwas muss ich damals gut gemacht haben.

Heute ist Kunst meine grosse Leidenschaft. Da ich in Riehen wohne, bin ich natürlich oft in der Fondation Beyeler. Ich schaue mir jede Ausstellung an. Kunst gibt mir enorm viel. Ich male seit 15 Jahren. Mein rechter Arm macht zum Glück noch mit, der linke ist spastisch geworden. Kürzlich durfte ich meine Bilder zusammen mit einem anderen Künstler wieder einmal in der Galerie ­Monfregola in Riehen ausstellen. Mein behandelnder Arzt in Solothurn kaufte sogar eines ab. Und hin und wieder fahre ich auch ins Kino, eine willkommene Ablenkung, oder besuche mit meiner Freundin Konzerte: Rag ’n’ Bone Man, Sunrise Avenue oder John Legend.

Mein Wunsch für die Zukunft? Ich möchte gesundheitlich so bleiben, wie ich jetzt bin.»

Hochkomplexe Krankheit

Multiple Sklerose wird auch als Krankheit mit den tausend Gesichtern bezeichnet, weil sie sehr unterschiedliche Symptome hervorrufen kann. Im Beitrag mit Neurologe Robert Bühler erfahren Sie mehr zur Therapie und wie Sie am besten mit der Krankheit umgehen.

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