Demenz

«Wir brauchen neue Behandlungskonzepte»

3 Fragen an Dr. med. Vesna Stojanovic, Chefärztin Akutgeriatrie soH am Kantonsspital Olten.

Wie begegnen Sie in der Geriatrie dem Thema Demenz?

Das durchschnittliche Alter unserer Patienten in der Geriatrie ist zwischen 87 und 88 Jahren. Mit dem Alter steigt das Risiko für eine Demenz. Zudem steigt das Risiko für komplexe, schwere Verläufe und Komplikationen der vorbestehenden chronischen Erkrankungen.

Geriatrische demente Patienten sind grundsätzlich gebrechlicher, sind empfindlicher auf Umgebungswechsel, haben häufig eine Tagnachtumkehr und mehr Medikamentennebenwirkungen als andere Patienten. Bei dementen, vor allem bei fortgeschritten dementen Patienten ist die Äusserung der Schmerzen anders und wird häufig nur durch Körpersprache und Mimik erkannt.

Demente Patienten sind ausserdem oft schlecht ernährt, verschlucken sich häufig und sind für verschiedene Keime und Infektionen empfindlicher als andere Patienten. Die Wundheilung ist durch die schlechte Ernährung verzögert. Das Sturzrisiko ist durch schlechte Mobilität und den Verlust von Muskelmasse und Muskelkraft hoch. Durch die Immobilität ist ausserdem das Risiko für einen Dekubitus (offene Wunde) sehr hoch. Durch kognitive Einschränkungen und fehlende Kooperation des dementen Patienten ist die Anamnese und Kommunikation erschwert, was den Überwachungsbedarf erhöht.

In der Geriatrie versuchen wir unsere dementen, fragilen Patienten individuell nach den eigenen Bedürfnissen und vorbestehenden eigenen Vorstellungen medizinisch und ethisch korrekt zu behandeln. Die Angehörigen sind immer von Anfang an involviert in unsere Entscheidungen, welche nach den besten medizinischen Kenntnissen und unter Berücksichtigung der Würde und den Wünschen der Patienten durchgeführt werden. Durch die vorhandene Kontinuität in der ärztlichen und pflegerischen Betreuung und dem fast täglichen Austausch mit den Angehörigen und Hausärzten sowie Spitex versuchen wir unsere Abklärungen und Behandlungen zu optimieren und individualisieren. Unsere Patienten werden schnell mobilisiert und in Einzel- und Gruppentherapie physiotherapeutisch begleitet. Ergänzend für die Förderung der Selbstständigkeit sind begleitpflegerische sowie ergotherapeutische Massnahmen und Therapien sowie eine angepasste Ernährung, welche durch die Ernährungsberatung durchgeführt wird. Durch kontinuierliche körperliche und kognitive Aktivierung werden die Mobilität und die Kognition gefördert. Ziel ist es, den Patienten nach Spitalaustritt die Rückkehr in die gewohnte Umgebung zu ermöglichen.

Zusammengefasst: Demente Patienten haben weniger Ressourcen als andere Patienten. Die Abklärung und Behandlung sowie die Betreuung ist aufwendiger, da die Kommunikation oft erschwert ist und medizinische Massnahmen meist nur vermindert befolgt werden. Trotzdem versuchen wir unsere Patienten nach den besten medizinischen und ethischen Richtlinien zu behandeln, um ihnen eine schnellstmögliche Rückkehr in die gewohnte Umgebung mit einer adäquaten Lebensqualität zu ermöglichen.

Was sind die wichtigsten Schritte, wenn Sie Patientinnen oder Patienten nach Hause entlassen, bei denen eine fortschreitende Demenz festgestellt wurde?

Die Entlassung nach Hause wird immer sehr genau mit den Patientinnen und Patienten, den Angehörigen, dem nachbehandelnden Arzt und meistens auch mit der Spitex geplant und organisiert.

Die Angehörigen werden für ein Austrittsgespräch eingeladen, an dem alle Medikamente, die medizinischen Massnahmen sowie die weitere Entwicklung der Demenz besprochen werden. Die Angehörigen werden über die mögliche Hilfe durch die Spitex, die Pro Senectute, die Demenzberatungsstelle sowie über mögliche Tagesstätten in der Umgebung informiert. Wir empfehlen eine provisorische Anmeldung in einem Altersheim mit spezialisierter Demenzabteilung.

Im Austrittsgespräch wird häufig auch die juristische Situation bei nicht urteilsfähigen, dementen Patienten angesprochen. Bei Bedarf oder auf Wunsch der Angehörigen wird ein neutraler Beistand bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB beantragt. Bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz werden auch die medizinischen Massnahmen bei einer erneuten Verschlechterung besprochen, wobei auch ethische Aspekte einfliessen, insbesondere bei Entscheidungen am Ende des Lebens. Die nachbehandelnden Hausärzte werden schriftlich und telefonisch über den aktuellen Zustand der Patienten und Therapien informiert, ebenso die Spitex. Wir bieten neben der hausärztlichen Betreuung auch ambulante Kontrollen und eine Nachbetreuung in unserer Memory Clinic an.

«Demente Menschen sind fragile Patientinnen und Patienten. Sie brauchen andere Behandlungskonzepte».

Wie kann sich ein Spital nach den Bedürfnissen demenzkranker Patientinnen und Patienten richten?

Wir haben leider trotz einer erhöhten Anzahl an Demenz erkrankter Menschen in der Schweiz noch nicht genügend spezifisch ausgebildete Ärzte und Pflegekräfte. Zudem sind die heutigen Spitäler nicht so gebaut, dass die schlecht mobilen dementen Patienten genug Platz, Ruhe und Intimsphäre haben. Die Abläufe im Spital sind standardisiert und nicht angepasst an die individuellen Bedürfnisse der dementen Patienten. Schlafstörungen, sowie Unruhezustände werden meistens mit Medikamenten behandelt.

Es gibt immer mehr Daten, dass die herkömmliche Behandlung nicht effektiv ist. Stattdessen versuchen wir über sogenannte Basic-Therapien wie etwa Einzelbetreuung, Aromatherapie und Musiktherapie, zeitliche und örtliche Orientierung im Zimmer, das Praktizieren von Ritualen, welche die Patienten von zu Hause her kennen Unruhezustände zu vermeiden, damit die Patienten schneller genesen.

Wir versuchen die medizinischen Therapien sowie die Abklärungen so zu planen, dass diese nicht zur Überforderung der Patienten führen. Wir optimieren die Schmerztherapie, die Mobilität und die Schlafqualität und meiden den Umzug von einem Zimmer in das andere. Zudem reduzieren wir die Medikamente auf das Nötigste, um Nebenwirkungen und Interaktionen zu vermeiden. Die Nebenwirkungen der Medikamente bei dementen Patienten werden häufig durch die erschwerte Kommunikation unterschätzt oder zu spät gesehen. Wir wünschen uns speziell geschützte Abteilungen oder Patientenzimmer, welche eine häusliche Umgebung imitieren und die Platz für mehr Aktivierungsmöglichkeiten bieten.


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