DER RETTUNGSDIENST DER SOLOTHURNER SPITÄLER

Retter jeden Tag

Rückt ein Ambulanzfahrzeug des Rettungsdienstes der Solothurner Spitäler aus, so handelt es sich in den meisten Fällen glücklicherweise nicht um einen lebensbedrohlichen Notfall. Aber: Jedes Rettungsteam weiss, dass die Situation rasch ändern kann. Ein Besuch im Stützpunkt Oensingen.

Der Alarm ist ein eher dezentes «Tüüt», aber konstant und in jedem Raum des Stützpunkts Oensingen gut hörbar. Die Einsatzmeldung wird in kurzen Stichworten von der Alarmzentrale in Solothurn übermittelt: «Kind, 4,5 Jahre, P1-Päd-L Notfall, Sondersignal. Meldebild: Gegen eine Stange gesprungen, keine Bewusstlosigkeit, blutet im Gesicht.» Einsatzort: Holderbank. Die Rettungssanitäter Ricardo Burgener und Lea Ambühl ziehen ihre Schuhe an und gehen in raschen Schritten zum Einsatzfahrzeug. Ricardo Burgener gibt die Koordinaten auf dem GPS ein, Lea Ambühl fährt mit Blaulicht, im Fachjargon Sondersignal, los. Feierabendverkehr, Stau Richtung Balsthal. Die Autofahrer bilden eine Rettungsgasse. Ricardo Burgener berechnet unterwegs bereits die Medikation. Innert zwölf Minuten ist die Equipe am beschriebenen Einsatzort.

«Bei einer Alarmierung ist wichtig, dass wir die relevanten Details über die betroffene Person, aber auch den exakten Ort und Hinweise, wo es Stau oder Baustellen hat, haben», sagt Dr. med. Oliver Reisten, Chefarzt des Rettungsdienstes der Solothurner Spitäler AG soH. Oliver Reisten hat heute Notarztdienst, er wird bei schweren Fällen mit aufgeboten. Nicht in jedem Fall ist aber der Einsatz eines Arztes nötig. Rettungssanitäterinnen oder Rettungssanitäter HF sind in der Lage, Patientinnen und Patienten medizinisch beurteilen und versorgen zu können. Dank der Positionierung an den drei Standorten Solothurn, Oensingen und Olten ist es möglich, in lebensbedrohlichen Situationen in mehr als 90 Prozent aller Einsätze innerhalb von 15 Minuten vor Ort zu sein.

Anruf bei 144 – diese Angaben sind wichtig

  • Wo genau ist der Notfallort? Strasse, Hausnummer, Stockwerk oder exakte Beschreibung der Umgebung
  • Was genau ist passiert?
  • Wann ist es passiert?
  • Beschreibung der Patientin, des Patienten: Alter (oder geschätztes Alter), Atmung, Allgemeinzustand.
  • Weitere Angaben: Ist der Patient zum Beispiel eingeklemmt, Gefahren, andere Hinweise.
  • Rückrufnummer angeben.

In dringenden Fällen wird die Disponentin oder der Disponent in der Alarmzentrale übrigens noch während des Gesprächs die Ambulanz losschicken.

Das Mädchen weint heftig, das Gesicht voller Blut. Die Mutter erklärt, dass es mit dem Velo in eine Strassenlaterne geprallt sei. Lea Ambühl und Ricardo Burgener nehmen das Mädchen auf die Bahre, beruhigen es, arbeiten routiniert, präzis, konzentriert. Die Wunde – eine Platzwunde auf dem Nasenrücken – wird gereinigt, es werden Puls und Blutsauerstoff gemessen, neurologische Reflexe geprüft, der Körper nach Frakturen abgetastet. Ricardo Burgener gibt dem Mädchen einen Rettungsteddybär. Das beruhigt – und lenkt vor allem ab.

Rund 11 000 Einsätze jährlich leistet der Rettungsdienst der Solothurner Spitäler, davon sind etwa 80 Prozent Primäreinsätze. «Nicht immer bedeutet ein Primäreinsatz aber, dass man mit Sondersignal losfahren muss», sagt Beat Walser, Betrieblicher Leiter des Rettungsdienstes. Es wird nach den drei Stufen P1 bis P3 unterschieden. P1 bedeutet sofortiger Einsatz mit Sondersignal (Blaulicht und Horn) bei einem Notfall mit bestehender oder vermuteter Beeinträchtigung der Vitalfunktionen. P2 ist ein Notfall ohne Beeinträchtigung der Vitalfunktionen ohne Sondersignal, Einsätze der Dringlichkeitsstufe P3 sind Einsätze auf Vorbestellung. Solche Fahrten machen rund 20 Prozent der Einsätze aus. In der Begleitung der Patientinnen und Patienten braucht es Empathie und Einfühlungsvermögen. «Wer nur auf Blaulicht aus ist, ist im Rettungsdienst am falschen Ort», so Beat Walser weiter.

Ricardo Burgener und Lea Ambühl empfehlen, das Mädchen im Kinderspital untersuchen zu lassen, da eine Hirnerschütterung nicht ausgeschlossen werden kann. Die Mutter möchte ins Kinderspital Basel. Sie nimmt neben ihrer Tochter im Rettungsfahrzeug Platz, wir fahren los. Ohne Sondersignal. Nach fünf Minuten teilt Ricardo Burgener mit, dass das Mädchen immer wieder wegdämmern würde und bittet Lea Ambühl, mit Sondersignal weiterzufahren. Man diskutiert den Einsatz eines Rettunghelikopters und berechnet, dass dieser mit Anflugzeit später ankommen würde.

Die Rettungsdienste der soH sind nicht nur für Rettungs- oder Transporteinsätze zuständig, sondern auch für den Betrieb der Notrufnummer 144 sowie für Grossereignisse. Der Rettungsdienst arbeitet eng mit den Flugrettungsorganisationen, den Rettungsdiensten in Grenchen, Aarau und Langenthal, dem Rettungsdienst Nordwestschweiz sowie den weiteren Blaulichtorganisationen Polizei und Feuerwehr zusammen.

Freitagabend und Rückreiseverkehr nach Frankreich und Basel, viele Baustellen. Lea Ambühl fährt hochkonzentriert, die Autos machen den Weg frei, Baustellenarbeiter blockieren sofort den Gegenverkehr und winken das Fahrzeug durch. Lea Ambühl winkt ihnen zu. «Auf die Strassenbauer ist immer Verlass.» Die allermeisten Autofahrerinnen und Autofahrer reagieren richtig. Einzelne nicht. «Am schlimmsten sind die, die Schlangenlinien zu fahren beginnen oder das Tempo nicht verlangsamen», meint Lea Ambühl. Ricardo Burgener meldet nach vorne, dass das Mädchen wieder gut ansprechbar sei.

Ankunft im Kinderspital Basel, wir werden im Schockraum erwartet. Es wird sich herausstellen, dass es glücklicherweise nicht mehr als eine Platzwunde an der Nase war. Das Fahrzeug wird wieder einsatzbereit gemacht. Dazu werden die Instrumente sortiert, der Druck der Sauerstoffflasche überprüft und alles Notwendige gereinigt und desinfiziert. Zurück auf der Autobahn kurzer Stau, wir
fahren an einem Unfall vorbei, es sieht nach Blechschaden aus. Lea Ambühl hält an, fragt kurz nach, ob alles in Ordnung sei – beide Unfallbeteiligten nicken. Wir fahren zurück nach Oensingen.

«Die wichtigste Eigenschaft, die ein Notarzt oder eine  Rettungssanitäterin mitbringen muss, ist Gelassenheit», meint Oliver Reisten. Gerade in hektischen Situationen, bei aufgebrachten Menschen, bei Gewalt oder Vorfällen mit Drogen sei es enorm wichtig, mit Überblick und doch fokussiert arbeiten zu können und ruhig zu bleiben. «Die allermeisten Menschen reagieren übrigens sehr positiv, nur wenige sind fordernd oder unfreundlich», ergänzt Beat Walser. Gibt es Einsätze, die einem besonders nahegehen? Ja, meinen beide. Einsätze mit Kindern oder Grossereignisse mit vielen Verletzten. Dazu gibt es auch Nachbesprechungen im Team. «Blut zu sehen ist nicht das Schlimme», ergänzt Oliver Reisten, «aber die Schicksale dahinter, die gehen einem manchmal nahe».

Kaum zurück in Oensingen geht der Alarm los. Wieder ein Unfall mit einem Kind. Ganz in der Nähe. «Meldebild: Kind in den Pool gefallen, hat erbrochen, war blau im Gesicht, unklar, wie lange es im Wasser war.» Diesmal wird der Notarzt mit aufgeboten. Oliver Reisten macht sich zusammen mit dem Assistenzarzt und dem Rettungsdienst-Team bereit und geht in raschen Schritten zum Einsatzfahrzeug.


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