Nadia Di Bernardo steht vor dem Eingang zur Notfallstation
DOLMETSCHEN IM SPITAL

Sprachbarrieren müssen überwunden werden

Rund 200 000 Menschen in der Schweiz können sich nicht in einer der vier Landessprachen oder auf Englisch verständigen. Das kann im Notfall zu Problemen führen. Es gibt aber Lösungen.

Die türkisch sprechende Patientin ist Mitte 50, spricht kaum ein Wort Deutsch, kommt mit Bauchweh auf den Notfall. Sie zeigt auf ihren Unterleib und erwähnt das Wort «Schmerz» und «lange». Die Patientin hat Gewicht verloren, ihr Allgemeinzustand ist schlecht. Die behandelnde Ärztin möchte wissen, wie lange sie schon Schmerzen hat, wo genau, ob sie erbrechen musste, wie ihr Stuhlgang sei, ob sie Medikamente zu sich nehme, ob sie Allergien habe und vieles mehr. Sie braucht Informationen, um eine Diagnose stellen zu können. Das Beispiel ist fiktiv, solche Situationen sind aber regelmässig auf Notfallstationen anzutreffen. «Um eine qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, müssen wir mit unseren Patientinnen und Patienten kommunizieren können », sagt Nadia Di Bernardo, Leiterin Fachstelle Integration bei den Solothurner Spitälern. Deshalb sei es von elementarer Wichtigkeit, dass Gesundheitsversorger, in diesem Fall das medizinische Fachpersonal, sich verständigen kann. «Können sie das nicht, laufen wir Gefahr, Patientinnen und Patienten nicht adäquat zu behandeln.»

Vier Personen sitzen an einem runden Tisch

Menschliches Dolmetschen oder elektronisch

In den Solothurner Spitälern existiert seit vielen Jahren bereits ein Dolmetschkonzept. Der schnellste Weg, im Notfall eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher zu organisieren, geht über den Telefondolmetschdienst, der 24 Stunden am Tag in 60 Sprachen zur Verfügung steht. Zudem stehen auch spitalintern auf allen Abteilungen ausgebildete fremdsprachige Mitarbeitende zur Verfügung, die direkt vor Ort dolmetschen können. «In der Praxis ist es für diese nicht immer einfach, ihren Arbeitsplatz zu verlassen, um als interne Dolmetschende zu übersetzen», so Nadia Di Bernardo. Immer mehr kommen deshalb neue Technologien wie Videodolmetschen oder der Pockettalk, der versuchsweise in den Solothurner Spitälern ausprobiert wird, zum Einsatz. Pockettalk ist ein kleines Gerät in Smartphonegrösse, welches bei Gesprächen mit einfachem Inhalt eine unkomplizierte Liveübersetzung ermöglicht.

Die am häufigsten übersetzten Fremdsprachen* im Spital
  1. Tamilisch
  2. Türkisch
  3. Tigrinya
  4. Arabisch
  5. Italienisch, Farsi**, Russisch
  6. Albanisch
  7. Spanisch
  8. Somali, Kurdisch
  9. Bulgarisch
  10. Portugiesisch, Serbisch, Bosnisch, Kroatisch, Polnisch

* Gemäss Statistik Telefondolmetschdienst AOZ Medios
** Farsi ist ein Dialekt aus Afghanistan.

Wort für Wort oder sinngemäss übersetzt?

Elektronische Übersetzungsdienste haben aber Grenzen. Immer dann, wenn es um Gefühle geht, wenn in Metaphern gesprochen wird, wenn man vielleicht aus Scham etwas nicht erwähnt, wenn Therapieanordnungen gegeben werden, Einverständniserklärungen eingeholt oder psychiatrische Behandlungen in die Wege geleitet werden müssen. Kurz: wenn die Kommunikation bereits in der Muttersprache anspruchsvoll ist und kulturelle Eigenheiten im Spiel sind. In solchen Fällen ist das sogenannte interkulturelle Dolmetschen zielführender als die reine Sprachübersetzung. «Als Spital sind wir der Chancengerechtigkeit verpflichtet», so Di Bernardo. Chancengerechtigkeit bedeutet aber auch, dass nicht nur fremdsprachige, sondern auch gehörlose, sprechbehinderte, demente oder kognitiv eingeschränkte Menschen einen Anspruch darauf haben, verstanden zu werden.

Es lohnt sich

Der Einsatz von Dolmetschdiensten begründet sich nicht nur ethisch, sondern auch wirtschaftlich: Denn eine exakte Beschreibung des Leidens kann eine teure Diagnostik durch Labor oder Röntgen im besten Fall überflüssig machen und erspart unnötige Konsultationen oder Hospitalisationen.

Die Solothurner Spitäler sind Mitglied des Schweizerischen Netzwerks Swiss Hospitals for Equity – Schweizer Spitäler für Chancengerechtigkeit. In diesem Netzwerk, dem auch die Universitätsspitäler angehören, tauschen sich Fachpersonen über
ihre Erfahrungen aus und erarbeiten gemeinsame Standards. Als Leiterin der Fachstelle Integration koordiniert Nadia Di Bernardo ausserdem im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit das Deutschschweizer Netzwerk.

Mehr Informationen

www.hospitals4equity.ch


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