SPITAL DER ZUKUNFT
Die Digitalisierung wird die Medizin stark verändern
Spitäler nehmen heute einen wichtigen Part in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ein, und sie werden es auch in Zukunft. Ihre Rolle aber wird sich vermutlich verändern. Professor Urs Brügger, Direktor des Departements Gesundheit an der Berner Fachhochschule, über die Entwicklung der Spitäler in der Schweiz.
Urs Brügger, wie sieht die ideale Spitalversorgung der Zukunft aus?
Idealerweise gäbe es eine bessere Koordination in Gesundheitsregionen mit einer Bevölkerung von ein bis zwei Millionen Einwohnern. Im Zentrum würde ein Universitätsspital stehen für die hochspezialisierte Versorgung. Darum herum gäbe es ein Netz von kleineren Spitälern, die sich auf gewisse Leistungen spezialisieren und dadurch wirtschaftlich und in guter Qualität arbeiten können. Die Grundversorgung in den Regionen, die heute noch teilweise stationär durchgeführt wird, wird noch stärker ambulant werden, und es werden medizinische Versorgungszentren für Notfallversorgung und die Versorgung von chronisch Kranken entstehen. Insgesamt wird es weniger Spitalbetten brauchen, trotz Bevölkerungszunahme und Alterung.
Früher gab es das Sprichwort «Jedem Täli sein Spitäli», im Kanton Solothurn wurden in den vergangenen Jahren mehrere Standorte geschlossen oder zusammengelegt. Wo stehen wir in der Spitalplanung schweizweit?
Es gibt inzwischen einen gewissen Trend zu mehr Koordination und Konzentration in der Spitalversorgung. Leider gehen diese Bemühungen oft nicht über die Kantonsgrenzen hinaus. Doch eine Spitalversorgung sollte aus Gründen von Qualität und Wirtschaftlichkeit regional und nicht kantonal gedacht werden. Sie sollte sich zudem an den Patientenbedürfnissen und den Patientenströmen orientieren. Die Vorgaben im Rahmen der interkantonalen Koordination der hochspezialisierten Medizin HSM und Vorgaben von Mindestfallzahlen, die mehr und mehr in der kantonalen Spitalplanungen eingesetzt werden, unterstützen diese Entwicklung zu mehr Koordination und Konzentration.
Und wo stehen wir in 40 bis 50 Jahren, wenn die Lebensdauer der jetzigen Spitäler erreicht ist?
Voraussichtlich werden dann tendenziell vor allem noch hochspezialisierte Leistungen stationär angeboten werden. Die übrige Gesundheitsversorgung wird hauptsächlich im ambulanten Setting oder zu Hause stattfinden – «hospital at home». Doch 40 bis 50 Jahre sind ein sehr langer Zeithorizont, über den sich nur schwer eine zuverlässige Prognose machen lässt. Zudem wird die Digitalisierung die Medizin stark verändern.
Zur Person
Prof. Dr. Urs Brügger studierte Volkswirtschaftslehre und Soziologie an der Universität St. Gallen. Zudem absolvierte er noch ein internationales Master-Programm in Health Technology Assessment. Von 2003 bis Ende 2017 leitete er das Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie (WIG) an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Seit Januar 2018 ist Urs Brügger an der Berner Fachhochschule als Direktor des Departements Gesundheit tätig. Seine Themenschwerpunkte in Forschung und Lehre sind Health Technology Assessment (HTA), Vergütungssysteme, Gesundheitskosten und Gesundheitspolitik.
Welche bahnbrechenden Innovationen könnte es in den nächsten Jahrzehnten in der Medizin geben?
Hier ist einiges im Zusammenhang mit der Digitalisierung zu erwarten. Insbesondere verbesserte Diagnostik mithilfe von Data Science und Einsatz von Robotik in Behandlung und Pflege von Patientinnen und Patienten werden die Gesundheitsversorgung stark verändern. Dadurch wird sich auch die Rolle aller Health Professionals verändern. Im Pharmasektor werden im Sinne der «personalized medicine» noch besser auf spezifische Eigenschaften von Patientinnen und Patienten ausgerichtete Medikamente entwickelt werden.
Werden Automatisierungen und Roboter irgendwann die Arbeit übernehmen?
Das ist eine umstrittene Frage, ob die Digitalisierung insgesamt Arbeitsplätze kosten wird oder nicht. Für ein innovatives Land wie die Schweiz mit einer leistungs- und konkurrenzfähigen Wirtschaft würde ich die Chancen insgesamt höher gewichten als die Risiken. Die Schweiz dürfte zwar gewisse Arbeitsplätze verlieren, aber auch viele neue gewinnen. Bezüglich Kosten dürfte sich die Digitalisierung teilweise kostendämpfend und teilweise kostentreibend auswirken. Der Saldoeffekt ist schwer vorherzusagen.
Es gibt Warnrufe, dass auch in der Schweiz irgendwann eine Zweiklassenmedizin entstehen könnte, dass derjenige, der mehr zahlt, auch die bessere Medizin erhält. Teilen Sie diese Ansicht?
Eine Zweiklassenmedizin gibt es immer. Es lässt sich nicht vermeiden, dass sich gewisse Leute Behandlungen leisten können, die der Allgemeinheit nicht zur Verfügung stehen. Wichtig ist, dass die zweite Klasse eine genügend gute Qualität aufweist. Das Gesetz sagt, dass nur Leistungen bezahlt werden, die auch wirtschaftlich sind. Die extrem teuren neuen Immuntherapien beispielsweise haben gezeigt, dass heikle Fragen auf unser Gesundheitssystem zukommen. Wann ist hier eine Grenze im Verhältnis von Kosten zu Nutzen erreicht? Mit solchen Fragen werden wir uns stärker befassen müssen. Und es wird auch Diskussionen über die hohen Preise geben, welche die Industrie unter Druck setzen.
Eine zweite Gefahr für eine Zweiklassenmedizin sehe ich aber aufgrund des Fachkräftemangels. Mit genügend Geld wird man immer eine verfügbare Ärztin oder eine Pflegeperson finden. Doch werden alle Grundversicherten den raschen Zugang haben, wenn sie ihn brauchen? Hier müssen wir sehr aufpassen und dafür sorgen, dass diese Berufe attraktiv bleiben und wir genügend Fachkräfte haben.
Wenn Sie als Patient im Spital sind, was sind Ihre Erwartungen?
Dass ich eine gute Versorgung erhalte, die sich an den Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit orientiert. Darüber hinaus, dass ich als Mensch wahrgenommen, respektiert und bestmöglich behandelt werde. Und schliesslich, dass ich nicht lange warten muss.
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