Alkoholkonsum

Der Wille allein reicht nicht

Zu viel Alkohol schadet dem Körper und der Seele. Im Behandlungszentrum für Suchterkrankungen in Solothurn finden diejenigen Hilfe, die wieder Kontrolle über ihren problematischen Konsum gewinnen wollen.

Dr. med. Peter Schwörer ist Leitender Arzt im Behandlungszentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Psychiatrischen Dienste in Solothurn. Zu ihm kommen suchtkranke Menschen, die sich eingestanden haben, dass sie zu viel trinken. So viel, dass Freundschaften, die Ehe oder der Beruf darunter leiden. So viel, dass sie professionelle Hilfe brauchen, um wieder zu einem für sie verträglichen Mass zurückzufinden oder die Abstinenz zu schaffen.

Der Weg in die Sucht ist eher meist unspektakulär. Häufig ist er verbunden mit dem Wunsch nach Entspannung, nach einem Weg, um den Druck des Alltags für wenige Stunden hinter sich zu lassen. „Alkohol hat durchaus positive Wirkungen, die wir schnell spüren“, erklärt Peter Schwörer. Alkohol kann etwa unsere Emotionen glätten, so, dass Alltagsprobleme etwas weniger schlimm erscheinen. Oder er kann uns in sozialen Situationen gesprächiger, nach stressigen Arbeitstagen entspannter und gelassener machen.

Kurzfristige Lösung für langfristige Probleme

„Wir Menschen handeln erfahrungsbasiert. Deshalb erinnern wir uns häufig an die positiven Wirkungen von Alkohol und greifen bewusst darauf zurück, wenn er uns in bestimmten alltäglichen Situationen bereits einmal ein gutes Gefühl gegeben hat.“ Häufig habe der Alkohol einen Belohnungseffekt, so Schwörer. Manchmal wird nicht nur die bestandene Prüfung oder der Geburtstag, sondern auch der Feierabend nach einem harten Tag damit gefeiert, nach dem Motto: „wer hart arbeitet, darf auch hart trinken“. „Irgendwann kann das dann aber umschlagen. Dann trinkt man den Alkohol wegen des kurzfristigen Effekts und will so belastende Probleme vergessen oder gar bewältigen.“

Wer eine Sucht entwickelt, ist laut dem leitenden Arzt oftmals auf der Suche nach seiner Lebensmitte oder einem Sinn im Leben. Alkohol als rasche Möglichkeit also, die Probleme, die das Leben mit sich bringt, kurzfristig zu vergessen oder verdrängen zu können. „Plötzlich reicht ein Bier nicht mehr, es braucht eine höhere Trinkmenge, um den gewünschten Effekt zu erreichen. Manche greifen auch zu Spirituosen, weil die Wirkung bei höherem Alkoholgehalt schneller eintritt. Dabei bedenkt man oftmals natürlich nicht die langfristigen Folgen.“

Reduzieren statt verbieten

Doch langfristige Folgen gibt es viele, sowohl physisch als auch psychisch. Die Organe und das Gehirn leiden beispielsweise unter dem Überkonsum, die Wahrscheinlichkeit für Schlafstörungen oder depressive Verstimmungen steigt deutlich an. Auch das soziale Umfeld leidet. Häufig merken Freunde, Familienmitglieder oder Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen früher als die Betroffenen selber, dass ein Problem vorliegt. Ein starkes Indiz für Abhängigkeit ist laut Schwörer deshalb, wenn versucht wird, den problematischen Alkoholkonsum zu bagatellisieren oder ihn vor anderen zu verstecken.

Patientinnen und Patienten hadern oft lange mit sich, bevor sie sich eingestehen, zu viel Alkohol zu trinken, nach einer versuchten Abstinenz häufen sich oftmals die Rückfälle, auch die Hilfe im Behandlungszentrum für Abhängigkeitserkrankungen wird nicht immer aus eigenem Antrieb wahrgenommen. Häufig gehen vergebliche Versuche voraus, die Trinksucht alleine zu besiegen zu können. Das Ziel bleibt deshalb, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. In der modernen Suchtbehandlung geht es mittlerweile nicht mehr nur darum, ganz vom Alkohol wegzukommen oder gar nicht, erklärt Schwörer. „Das Astinenzparadigma wurde mittlerweile fallengelassen. Wir behandeln zieloffen und besprechen auf Wunsch auch die Möglichkeit der Verringerung der Alkoholtrinkmenge.“

Manchmal erfolge das im ambulanten Rahmen, weil manche Patientinnen und Patienten keinen stationären Aufenthalt wünschten. „Wir besprechen die Trinkmenge der bevorstehenden Woche, und die Patientinnen und Patienten führen ein Trinktagebuch. Das machen wir so lange, bis sie selber sagen können: Das passt für mich, mit dieser Trinkmenge kann ich mein Leben so führen, wie ich es gerne möchte.“ Manchen bleibt aber oft doch nur der Weg in die anhaltende Abstinenz.

Suche nach Alternativen

Für Peter Schwörer wichtig: Die Willenskraft allein, so der leitende Arzt, kann eine Suchterkrankung nicht beherrschen oder gar heilen. Zum einen gebe es eine genetische Disposition, die mitbestimme, wie vulnerabel eine Person für eine Suchterkrankung ist. „Waren Vorfahren oder ein Elternteil alkoholabhängig, so steigt die Wahrscheinlichkeit, selber eine Suchterkrankung zu entwickeln, deutlich an“, erklärt er. Zum anderen müsse es den Betroffenen gelingen, Alternativen zu der kurzfristigen Lösung zu finden, die Alkohol ihnen bietet. „Verzicht alleine reicht nicht. Betroffene müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, was sie brauchen, um ohne Alkohol den Herausforderungen des Alltags begegnen zu können. Hier kann eine Entwöhnungstherapie nach dem Entzug hilfreich sein. Ansonsten bleibt es ganz schwierig, die Suchtproblematik langfristig zu überwinden.“ Sport sei für viele eine gute Lösung als Baustein oder auch das Erlernen von Meditation. Zudem sind Selbsthilfegruppen und auch ambulante Suchthilfen wichtige tragende Elemente.

Entscheidend ist für den Experten ausserdem eine positive Einstellung gegenüber sich selbst und eine verzeihende und liebevolle Art, mit sich selbst umzugehen bzw. im inneren Dialog zu sprechen. „Meine Worte und meine Gedanken haben eine grosse Bedeutung auf der psychologischen Ebene. Wie ich tagsüber spreche und denke, hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie viel Kraft ich haben werde, um meiner Sucht zu begegnen.“ Wer tagsüber positive Gedanken und Selbstgespräche führe, habe es am Abend leichter seinen inneren Frieden zu finden. Er gibt ein Beispiel: „Statt am Abend zu sagen, dass ein Tag schwierig war, könnte man auch sagen, dass er herausfordernd war, aber gemeistert wurde. In diesen positiveren Formulierungen liegt eine bedeutsame Kraftquelle, die vielen Menschen gar nicht so klar ist.“

Nicht von einem Tag auf den anderen, aber Schritt für Schritt könne so die Resilienz aufgebaut werden, die es brauche, um den allgegenwärtigen Herausforderungen im Leben zu begegnen. Es gilt Scham und Vermeidungsverhalten zu überwinden, ohne immer wieder trügerische Ruhe im Alkohol zu finden.


Alkohol im Körper

Alkohol hat schon in geringen Mengen sehr negative Auswirkungen. Besonders die Leber, die für den Abbau des Alkohols im Körper verantwortlich ist, ist davon betroffen. Ausserdem sind verschiedene Krebsarten auf Alkoholkonsum zurückzuführen, zum Beispiel im Mundraum, im Rachen oder in der Speiseröhre. Auch das Gehirn leidet unter dem Alkoholkonsum: Langfristiger und regelmässiger Alkoholkonsum kann zum Schrumpfen des Hirngewebes führen. Dabei nehmen in einem ersten Schritt die Gedächtnisleistung und das Konzentrationsvermögen ab, langfristig kann auch das Urteilsvermögen abnehmen. Je länger zu viel Alkohol konsumiert wird, desto häufiger treten Alkoholfolgeschäden auf und schränken dann Lebensqualität und Lebensdauer ein.


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