Bindung
Von Herz zu Herz
Auch wenn die Liebe für das Kind meistens schon lange da ist: Die Beziehung zwischen den Eltern und dem Neugeborenen braucht nach der Geburt Zeit, um sich zu entwickeln. Wichtig dafür ist das Bonding nach der Geburt. Hebamme Vivienne Eggenschwiler vom Bürgerspital Solothurn erklärt, wie Bonding funktioniert und wie der Start in das Muttersein gelingt.
Kaiserschnitt oder natürliche Geburt: Hat das Einfluss auf die Bindung?
Nach einer natürlichen Geburt, die gut verlaufen ist, kann das Baby häufig schnell der Mutter übergeben werden. Aber bei einem Kaiserschnitt muss auf diese wichtigen ersten Momente zwischen Mutter und Kind nicht verzichtet werden. Sobald das Baby geboren ist, nimmt es die Hebamme im Operationssaal entgegen, kontrolliert es kurz und legt es – wenn möglich – sofort der Mutter auf die Brust für den Haut-zu-Haut-Kontakt, das sogenannte «Bonding».
«Wir lassen das Baby wenn möglich während der gesamten Operation und dem anschliessenden Weg zurück in den Gebärsaal bei der Mutter», so Eggenschwiler. Falls es der Frau zu anstrengend wird, da sie den Druck des Neugeborenen auf der Brust während der Operation als unangenehm empfindet oder sie grundsätzlich erschöpft ist, kann auch der Vater das Bonding übernehmen. «Das ist genauso gut.» Für das Baby bringt der Hautkontakt viele Vorteile: Die Temperatur wird reguliert, es spürt Vertrautes, was bei der Orientierung in der neuen Welt hilft, und die Bindung wird unterstützt. Nicht zuletzt fördert Bonding auch das Stillen.
Wenn nicht alles nach Plan läuft: Umgang mit schwierigen Geburten
Was eine traumatische Geburt ausmacht, ist sehr individuell. «Es gibt Frauen, bei denen wir denken, die Geburt sei gut verlaufen, aber für sie gab es schwierige Situationen. Und umgekehrt», weiss die Hebamme. Entscheidend ist, wie die Frau die Geburt erlebt hat.
Bei ungeplanten Kaiserschnitten entwickeln manche Frauen Schuldgefühle, weil sie glauben, die natürliche Geburt nicht «geschafft» zu haben. Teilweise muss ein ungeplanter Kaiserschnitt auch zügig stattfinden, weshalb die Geburt für die Frau als traumatisch empfunden werden kann. Viele Fragen und Unklarheiten können bei der Hebammenvisite, bei welcher die bei der Geburt anwesende Hebamme die Frau im Wochenbett besucht, oft bereits geklärt werden. Die Folgen traumatischer Geburten können aber dennoch vielfältig sein: Angstzustände, Schlafstörungen oder Schwierigkeiten beim Bindungsaufbau. Deshalb bietet das Spital allen Frauen ein Nachgeburtsgespräch an. «Wir gehen das Erlebte durch und erklären ihnen den Ablauf der Geburt», so Eggenschwiler. Zwar werden den Frauen während der Geburt alle Handlungsschritte erklärt, aufgrund der Schmerzen und der Hormone befinden sie sich aber in einem Ausnahmezustand, in welchem sie nicht immer alles vollständig aufnehmen. Manchmal erinnern sich die Frauen auch nur noch an einzelne Momente der Geburt, welche dann im Gespräch zusammengefügt werden können.
Diese Gespräche nach der Geburt sind auch deshalb wichtig, weil der Beziehungsaufbau zwischen Mutter und Kind besser gelingt, wenn es der Mutter gut geht. Über Erlebtes zu sprechen, hilft beim Ankommen in der Mutterrolle und kann psychische Belastungen verhindern.
Väter von Anfang an: Mehr als nur Zuschauer
Die Einbindung der Väter beginnt bereits in der Schwangerschaft. « Es ist toll, wenn sie bei Möglichkeit zu den Kontrollen mitkommen und so miteinbezogen werden können», betont die Hebamme. Schon das Hören des Herzschlags kann die Bindung zum ungeborenen Kind stärken.
Nach der Geburt bietet das Spital Familienzimmer an – ein Angebot, das Väter von Anfang an teilhaben lässt. Sie können Teile der Babypflege übernehmen und eigene Rituale entwickeln. «Zum Beispiel am Abend eine Babymassage machen», schlägt Eggenschwiler vor. Solche regelmässigen, liebevollen Momente helfen beim Aufbau der Vater-Kind-Bindung.
Postpartale Depression: Hilfe für Mutter und Kind
Bei einer postpartalen Depression kann die Bindung zwischen Mutter und Kind gestört sein. Hier ist professionelle Hilfe wichtig. Oft sind es die Partner, die Partnerinnen oder die Wochenbetthebamme, die Veränderungen bemerken. Psychologinnen und Psychologen können ambulant oder stationär mit Gesprächs- und Psychotherapien helfen.
Besonders wertvoll sind Angebote wie Mutter-Kind-Häuser, wo Frauen gemeinsam mit ihrem Baby stationär betreut werden. «Eigentlich muss die Frau ja den Umgang mit dem Baby und die Gestaltung des neuen Alltags lernen sowie eine Bindung aufbauen. Ohne Kind ist das oft schwierig», erklärt Eggenschwiler.
Ihr Rat für das Einfinden in die Mutterrolle: «Man sollte sich keine Illusionen machen, die Gewöhnung an die neuen Lebensumstände braucht Zeit. Es ist wichtig, auch Momente für sich einzuplanen und regelmässig Dinge zu tun, die einem guttun. Nur eine gestärkte Mutter hat genug Kraft, für ihr Neugeborenes da zu sein.»
Mythen rund um den Mutterinstinkt
Nicht jede Frau empfindet sofort nach der Geburt überwältigende Mutterliebe – das ist völlig normal. «Auch heute gibt es teilweise noch immer die Ansicht in der Gesellschaft, dass der Mutterinstinkt sofort da sein muss», sagt Eggenschwiler. «Aber es wird vermehrt darüber gesprochen, dass das eben nicht immer so ist.»
Die Hebammen gehen sensibel mit diesem Thema um. Nach der Geburt wird beispielsweise immer gefragt, ob die Mutter das Baby zu sich nehmen möchte, beziehungsweise, ob sie bereit dafür sei. «Es ist okay, wenn es nicht so ist und durchaus in Ordnung, wenn es ihr gerade zu viel wird.» Diese Ehrlichkeit hilft Müttern, sich nicht unter Druck zu setzen und ihre eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen.
Geplanter Kaiserschnitt – die schmerzfreie Geburt?
«Viele Frauen denken, ein Kaiserschnitt sei eine schmerzfreie Geburt», erklärt Hebamme Vivienne Eggenschwiler. «Das ist das grösste Missverständnis.» Tatsächlich verhält es sich umgekehrt: Während der Geburt hat man beim geplanten Kaiserschnitt weniger Schmerzen, da die oft stundenlangen Wehen wegfallen. Dafür folgen mehr Schmerzen nach dem Eingriff. Nach einer vaginalen Geburt sind Frauen deutlich schneller wieder auf den Beinen. Die Erholung verläuft in der Regel unkomplizierter, da keine Operation stattgefunden hat. Diese Realität sollten Frauen bei der Entscheidung für den Geburtsmodus im Hinterkopf behalten.
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