Migräne

Nicht nur Kopfschmerzen

Migräne ist weit mehr als nur Kopfschmerzen – sie ist eine neurologische Erkrankung, die Betroffene oft tagelang ausser Gefecht setzt. Dr. med. Liliane Kappeler ist Neurologin und Leitende Ärztin im Bürgerspital Solothurn und beantwortet die vier wichtigsten Fragen zu dem Volksleiden.

Was ist Migräne?

Obwohl in der Schweiz – und weltweit – viele Menschen unter Migräne leiden, ist die Erkrankung nicht vollständig erforscht. „Es handelt sich um einen komplexen Ablauf von Vorgängen im Gehirn mit neuronaler Dysfunktion, die noch nicht in vollem Umfang bekannt und individuell unterschiedlich sind“, erklärt Neurologin Liliane Kappeler.  Bei vielen Betroffenen breitet sich eine Welle veränderter elektrischer Aktivität über das Gehirn aus. Diese Welle kann die visuellen Störungen und andere Symptome verursachen, die manche Menschen als „Aura“ vor den eigentlichen Kopfschmerzen erleben. Sie reizt auch den Trigeminusnerv – einen wichtigen Nerv für das Gesicht und den Kopf. Der gereizte Nerv setzt bestimmte Botenstoffe frei, die in den Hirnhäuten eine entzündungsähnliche Reaktion auslösen. „Deshalb wird Migräne manchmal als ‚sterile Hirnhautentzündung‘ bezeichnet“, so Liliane Kappeler.

Diese entzündungsähnliche Reaktion führt dazu, dass sich die Blutgefässe erweitern und leicht anschwellen, was Schmerzen verursachen kann. Die Kopfschmerzen sind oft einseitig, häufig werden sie als pochend oder stechend wahrgenommen. Typisch sind auch Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit.

Wie erleben Patientinnen und Patienten eine Attacke?

Eine Migräneattacke hat meistens verschiedene Phasen:

  1. Die Vorwarnphase (Prodromal-Phase): In dieser ersten Phase reagieren Betroffene besonders empfindlich auf Reize. Grelles Licht, Lärm oder starke Gerüche können als extrem störend wahrgenommen werden. Migränepatientinnen und -patienten können sich übrigens generell schlechter an wiederholte Reize gewöhnen als andere Menschen.
  2. Die Auraphase: Nicht alle Patientinnen und Patienten erleben eine Auraphase. Bei den Betroffenen folgt eine Phase mit vorübergehenden neurologischen Symptomen, die sich über 5–60 Minuten entwickeln. Am häufigsten sind Sehstörungen, Zickzacklinien in einer Gesichtsfeldhälfte, die sich langsam ausbreiten, Kribbeln oder Taubheitsgefühle in Armen, Beinen oder im Gesicht. Manchmal treten auch Schwierigkeiten beim Sprechen auf.
  3. Kopfschmerzphase: Bei Patientinnen und Patienten mit Aura beginnt der Kopfschmerz innerhalb von 60 Minuten nach der Aura. Bei Betroffenen ohne Aura folgt er direkt auf die Vorwarnphase. Die Kopfschmerzphase dauert typischerweise zwischen 4 und 72 Stunden.
  4. Erholungsphase: Nach Abklingen der Kopfschmerzen fühlen sich viele Patientinnen und Patienten noch bis zu 48 Stunden lang müde und erschöpft. Sie können reizbarer sein und Probleme mit Denken und Konzentration haben.

Was löst Migräne aus?

„Die Veranlagung ist das Wichtigste“, erklärt Liliane Kappeler. „Es besteht bei Migräne-Betroffenen eine lebenslange Besonderheit des Nervensystems, die aufgrund von angelegten Risiko-Genen die Wahrscheinlichkeit für Migräneattacken erhöht.“ Vermutete Triggerfaktoren gibt es laut Kappeler zahlreiche, eindeutige Evidenz für deren Wirkung sei jedoch nicht vorhanden, und nicht immer würden die gleichen Faktoren zu einer Attacke führen. „Es gibt aber Personen, die auf bestimmte Nahrungsmittel, etwa Rotwein, konstant mit einer Migräneattacke reagieren. Andere beobachten zumindest gehäuft Migräneattacken nach dem Konsum von Käse, Schokolade oder anderem. Dies ist individuell, nicht alle Migräne-Betroffenen können einen Einfluss von Nahrungsmitteln auf ihre Migräne feststellen“, so die Fachärztin weiter.

Auch Schlafmangel und negativer Stress – sogenannter Distress – können zu einer Migräneattacke führen. Und auch der normale Büroalltag kann Betroffenen zu schaffen machen: Lange Arbeitstage vor dem Computer, im schlimmsten Fall ohne die passende Brille oder die richtigen Kontaktlinsen, können Migräne begünstigen. Bei Patientinnen kommen hormonelle Faktoren dazu, die die Häufigkeit der Migräne verstärken können.

Was kann Migränepatientinnen und -patienten helfen?

Ein bewusster Lebensstil kann laut Kappeler helfen, die Häufigkeit der Attacken zu reduzieren. „Aber auch hier ist die Veranlagung das Wichtigste“, betont sie. „Bei einigen Personen hilft alles Anpassen des Lifestyles nichts, sie haben trotzdem häufig Migräneattacken.“ Bei anderen könne regelmässiger, ausreichender Schlaf, regelmässiges Essen und Trinken sowie leichter Ausdauersport helfen, die Migränehäufigkeit zu reduzieren. „Sanfte Sportarten wie Schwimmen und Walken sind Sportarten mit Krafteinwirkung auf Kopf oder Nacken oder hartem Krafttraining vorzuziehen“, empfiehlt sie. Auch Hochleistungssport sei für Betroffene nicht empfehlenswert, da eine zu grosse körperliche Anstrengung Migräne eher begünstigt. Besonders lästig für die Betroffenen: „Ein Anpassen des Lifestyles hilft möglicherweise bezüglich Häufigkeit der Attacken, nicht aber bezüglich der Intensität.“

Menschen mit Migräne können Schmerzmittel oder spezielle Migräne-Medikamente (Triptane) einnehmen, die laut der Fachärztin am besten wirken, wenn sie frühzeitig genommen werden. „Für Betroffene mit besonders schwerer Migräne, also mindestens acht Attacken pro Monat über drei Monate hinweg, gibt es neuere, sehr wirksame Medikamente namens CGRP-Antagonisten. Diese sind jedoch teuer und werden nur eingesetzt, wenn andere Behandlungen nicht helfen.“


Volksleiden Migräne

Etwa 1 bis 1,2 Millionen Menschen in der Schweiz leiden laut der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft an Migräne. Das entspricht ungefähr 10-15% der Schweizer Bevölkerung. Migräne betrifft Frauen etwa dreimal häufiger als Männer. Die Migräne zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen und hat erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen. Sie kann zu temporärer Arbeitsunfähigkeit führen und stellt auch volkswirtschaftlich eine relevante Belastung dar.


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