WOHIN STEUERT DIE PSYCHIATRIE?
Steigende Herausforderungen
Wer postet schon ein Selfie aus der Psychiatrie? Wer schwärmt vom Aufenthalt in der Klinik? Natürlich niemand. Aber wieso eigentlich nicht?
Die Antworten sind vielfältig: Eine davon: Der Psychiatrie hängt immer noch das falsche Bild der Heim- und Pflegeanstalt an. Das wird der heutigen Psychiatrie jedoch in keiner Weise gerecht.
Fangen wir von vorne an. Bereits in der Antike bestanden Krankheitsmodelle zu psychiatrischen Erkrankungen und wie man diese therapieren könnte, leider mit wenig Erfolg. Es dauerte Jahrhunderte, bis im Zeitalter der Aufklärung die psychischen Erkrankungen als spezifisch und besonders behandlungsbedürftig definiert wurden. Die therapeutischen Mittel waren jedoch sehr beschränkt, weshalb Erkrankte oft dauerhaft in einer Institution untergebracht werden mussten. Erst im 20. Jahrhundert revolutionierte sich die Psychiatrie durch die Entdeckung der modernen medikamentösen Therapien und mit der Einführung von wissenschaftlich begründeten psychotherapeutischen Methoden.
Die Psychiatrischen Dienste der Solothurner Spitäler behandelten im Jahr 2018 rund 2000 stationäre Patientinnen und Patienten und hatten knapp 90 000 ambulante Konsultationen. Die fünf häufigsten Krankheitsbilder bei den Erwachsenen sind:
- Depression
- Abhängigkeitserkrankungen (Sucht)
- Psychosen
- Angsterkrankungen und andere Belastungsstörungen
- Demenz und andere hirnorganische Störungen
Forschungsentwicklung
Die Hirnforschung und die Erforschung von Wirkungsweisen der Psychotherapien brachten einen enormen Schub im therapeutischen Repertoire. Allerdings stockt zurzeit die Entwicklung von neuen Medikamenten: «Das Gehirn ist das komplexeste Organ des Körpers, weshalb Erkenntnisse über die Funktionsweisen zwar rasch zunehmen, die Umsetzung in neue Therapiemethoden aber sehr kompliziert ist», sagt Prof. Dr. med. Martin Hatzinger, Chefarzt der Psychiatrischen Dienste der Solothurner Spitäler. Allerdings zeichnet sich mit der Zulassung des Medikamentes Ketamin durch die amerikanische Arzneimittelbehörde ein Lichtstreifen am Horizont für den Bereich der schwer behandelbaren Depressionen ab.
Die Psychiatrie ist leider immer noch zu stark mit Vorurteilen beladen, findet Prof. Dr. med. Martin Hatzinger, Chefarzt Psychiatrische Dienste.
Ausgeklügelte Therapieangebote
«Heute sind wir jedoch so weit, dass wir die meisten psychischen Erkrankungen gut behandeln können», so Martin Hatzinger weiter. Der integrierte Therapieansatz mit dem biopsychosozialen Modell, das psychotherapeutische und medikamentöse oder andere biologische Elemente unter Einbezug der sozialen Faktoren umfasst, ist heute allgemeiner Therapiestandard. Damit gelingt es, auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten abgestimmte Behandlungskonzepte zu definieren. In dieser ganzheitlichen Betrachtungsweise wird auch das Umfeld, in dem der betroffene Mensch lebt, miteinbezogen, das heisst zum Beispiel seine Angehörigen oder das Arbeitsumfeld.
Prävention und Früherkennung sind wichtig
In den letzten beiden Dekaden wurde auf die Früherkennung psychischer Erkrankungen ein besonderes Augenmerk gelegt. Denn: je früher erkannt, desto besser die Heilungschancen. Präventionsaktionen wie das Bündnis gegen Depression oder die Aktionstage zur psychischen Gesundheit tragen dazu bei, dass hier auch eine Sensibilisierung in der Öffentlichkeit erfolgt. Insgesamt fördern die modernen Therapiekonzepte, dass immer mehr Menschen ambulant behandelt oder früher aus einer stationären Behandlung entlassen werden können.
Burn-out und Depressionen
Die Depression ist die am häufigste auftretende psychische Erkrankung. Neun Prozent der Bevölkerung leiden gemäss Bundesamt für Statistik an Depressionen. Depressionen haben im Verhältnis zur Bevölkerung wahrscheinlich nicht zugenommen, die Sensibilität dafür ist jedoch gestiegen, und insbesondere leichtere Formen werden früher erkannt.
Burn-out oder das Burn-out-Syndrom ist ein Risikozustand für eine psychische Erkrankung, meist Depression. Es ist keine klassifizierte Krankheit, sondern wird von der Weltgesundheitsorganisation WHO als «chronischer Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet wird», wiedergegeben.
Es ist durch drei Symptomenkomplexe gekennzeichnet:
- Gefühle von Energieminderung oder Erschöpfung
- Zunehmende psychische Distanz von der eigenen Arbeit oder Gefühle von Negativismus bzw. Zynismus im Zusammenhang mit der eigenen Arbeit
- Verminderte berufliche Funktionsfähigkeit
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