Tinnitus

Wenn das Ohr Geräusche macht

Ein plötzliches Pfeifen, Rauschen oder Brummen im Ohr, das nicht mehr verschwindet – so erleben viele Menschen Tinnitus. Doch was steckt dahinter, und was kann man tun? Dr. med. Silke Hasenclever, Chefärztin am Kantonsspital Olten, behandelt und berät betroffene Patientinnen und Patienten.

Viele kennen es, wenn auch glücklicherweise nur für kurze Zeit: Das Pfeifen im Ohr, wenn man beim Konzertbesuch etwas zu nahe an der Box feierte, oder wenn man das Pech hatte, zu nahe an einem lauten Silvesterböller zu stehen. Häufig verschwindet das lästige Geräusch im Ohr nach kurzer Zeit wieder.

Erleichterung und Ratlosigkeit

Zu Silke Hasenclever, Chefärztin für Hals- Nasen- und Ohrenmedizin in Olten, kommen die Patientinnen und Patienten dann, wenn keine Ruhe mehr einkehren will. Nach rund sechs Monaten, erklärt sie, gilt das Pfeifen, Rauschen oder Klopfen im Ohr als chronischer Tinnitus. Die meisten Betroffen leiden unter einer subjektiven Form davon. Das bedeutet, dass der Ton nur von ihnen wahrgenommen werden kann. Der objektive Tinnitus dagegen hat häufig eine körperliche Ursache, etwa durch eine arterielle Verengung im Ohr, und kann z.B. mit dem Stethoskop wahrgenommen werden.

Kann eine schlimme körperliche Ursache ausgeschlossen werden, sind viele Patientinnen und Patienten im ersten Moment erleichtert, so die Chefärztin. Danach gehe es aber darum, einen Umgang mit dem ständigen Geräusch im Ohr zu finden. „Leider hat sich im Bereich der Therapie von Tinnitus in den vergangenen Jahren sehr wenig bewegt“, bedauert Silke Hasenclever. „Geheilt werden kann der Tinnitus nur in ganz seltenen Fällen. Wir versuchen deshalb, den Betroffenen zu helfen, einen Umgang mit dem Symptom zu finden“.

Musik statt Tabletten

Das Ziel sei es, den Tinnitus nicht in den Fokus rücken, ihm keine allzu grosse Bedeutung beizumessen, so die Chefärztin. „Das gelingt einigen Betroffenen ganz gut. Sie lassen beim Einschlafen das Radio laufen oder hören Musik, um sich abzulenken. Andere aber leiden enorm, und würden alles dafür tun, um das Geräusch wieder loszuwerden“.

Die Verzweiflung treibe sie manchmal dazu, auf teure Heilsversprechen hereinzufallen. Silke Hasenclever warnt davor, viel Geld für Anbieter auszugeben, die mit Tabletten oder anderen Therapieformen eine schnelle Heilung versprechen. „Damit wird Profit aus dem Leid der Betroffenen geschlagen, ohne dass sich deren Zustand verbessert“, ärgert sie sich.

Am meisten Erfolg verspreche schon seit langem eine Psychotherapie, die dabei helfe, den Lärm im Kopf zu akzeptieren und einen Weg zu finden, das Leben trotz der Erkrankung zu geniessen. „Bei einigen Betroffenen dauert das Jahre, aber es gelingt ihnen dann doch.“

Hilfreich sei es etwa, stets für eine leichte Geräuschkulisse zu sorgen, die den Lärm überdeckt. Das bereits erwähnte Radio beim Einschlafen etwa. Ausserdem helfen richtig eingestellte Hörgeräte. Viele Patientinnen und Patienten leiden laut Silke Hasenclever zusätzlich an einer Hörstörung. Wenn sie dank einem Hörgerät Umgebungsgeräusche besser wahrnehmen können, dann tritt häufig auch der Tinnitus in den Hintergrund.

Hilfreich sind auch spezielle Apps, die entwickelt wurden, um Patientinnen und Patienten zu helfen. Sie bringen vor allem bei regelmässigen Pfeiftönen Linderung, weil sie die exakte Höhe des störenden Tons messen und diesen aus der Musik, die über die App gespielt wird, herausfiltern. So können die Betroffenen ohne Pfeifton Musik hören und sich erholen.

Auch wenn eine Heilung in den meisten Fällen nicht möglich ist, gibt es also Wege, mit dem Tinnitus zu leben. Wichtig auf diesem Weg sind laut Silke Hasenclever auch Organisationen wie Pro Audito Schweiz, die Betroffene zum Beispiel mit Beratungen und Selbsthilfegruppen unterstützen.


Tinnitus – Symptom und Ursache

Laut Pro Audito Schweiz sind in westlichen Industrienationen rund 15 Prozent der Bevölkerung von Tinnitus betroffen. Subjektiver Tinnitus entsteht laut Angaben der Organisation oft als Folge eines Hörverlusts. Im Innenohr befinden sich rund 19.000 Haarzellen, die verschiedene Tonfrequenzen erfassen und an den Hörnerv weiterleiten. Wird ein Teil dieser Zellen durch Lärm, Stress oder eine Ohrenentzündung beschädigt, erreichen bestimmte Frequenzen die Hörrinde im Gehirn nicht mehr. Der Thalamus, der als Filter für eingehende Signale dient, erkennt diese Lücke und regt die betroffenen Nervenzellen zur Aktivität an. Diese Überaktivität in der Hörrinde führt dazu, dass das Gehirn die fehlenden Frequenzen selbst erzeugt, wodurch ein dauerhaftes Ohrgeräusch entsteht.


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