Speichel
Wenn das Schlucken wieder erlernt werden muss.
Schlucken ist ein automatischer Vorgang. Wie komplex er tatsächlich ist, zeigt sich dann, wenn es plötzlich nicht mehr funktioniert.
Ohne Speichel hätten wir ein Problem. Etwa eineinhalb Liter Speichel produzieren wir pro Tag. Das Sekret, das in den Speicheldrüsen gebildet wird, besteht hauptsächlich aus Wasser. Es enthält aber auch Enzyme, die Stärke zu Malzzucker abbauen, sowie Hormone und Eiweisse. Speichel schützt vor Karies, unterstützt die Wundheilung im Mundraum und wirkt gegen Bakterien. Zudem ist der Speichel für unsere Energiezufuhr unverzichtbar. Erst mithilfe des Speichels entsteht beim Kauen ein Brei, der geschluckt werden kann.
Wenn Schlucken schwierig wird
Wenn es mit dem Schlucken plötzlich nicht mehr klappt, dann weiss Andrea Meister Rat. Sie ist Fachleiterin Logopädie am Kantonsspital Olten. Beim Schlucken, so erklärt sie, aktivieren wir sechs Hirnnerven und über 25 Muskelpaare, die präzise koordiniert werden müssen. Der komplexe Vorgang ist störanfällig, und wer nicht mehr gut schlucken kann, leidet unter unterschiedlichen Auswirkungen. So kann etwa Speichel unkontrolliert aus dem Mund laufen oder in die Luftröhre fliessen. Besondere Gefahr droht, wenn Speichel oder Essensreste in die Luftröhre gelangen, und beim Husten nicht mehr aus den Atemwegen transportiert werden können. Dann droht eine Lungenentzündung, die gefährlich werden kann.
Schluckprobleme haben unterschiedliche Ursachen, erzählt Andrea Meister. Deshalb untersuchen sie und ihre drei Kolleginnen jede neue Patientin und jeden neuen Patienten sorgfältig. «Wir gehen auf die Zimmer und nehmen unterschiedliche Speisen mit. Üblicherweise etwas Wasser, Apfelmus, Banane und ein Stück Brot. Dann lassen wir die Patienten essen und beobachten, wie gut das Schlucken mit den unterschiedlichen Nahrungsmittelkonsistenzen klappt. Bei der Untersuchung müssen die Patientinnen und Patienten ausserdem husten, um die Hustenkraft zu messen. Wer sich beim Essen verschluckt, muss husten können, um die Luftröhre zu befreien.»
Es gibt unterschiedliche Gründe dafür, nicht mehr gut schlucken zu können. Nervensystemerkrankungen wie Parkinson oder Schlaganfälle, Tumore im Kopf- und Halsbereich, Neurodegenerative Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Demenz. Schluckstörungen können aber auch eine Folge von Langzeitbeatmung sein oder auftreten, wenn eine Trachealkanüle benötigt wird. Bei der Abklärung wird deshalb genau untersucht, welche der vier Schluckphasen nicht mehr funktioniert. Der Austausch mit der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik ist eng. «Wir können nicht in den Patienten hineinschauen, sondern achten uns auf äusserliche Anzeichen von Verschlucken. Die Ärztinnen und Ärzte dagegen können mit einer speziellen Untersuchung via Endoskop erkennen, wie der Kehlkopfeingang und die Luftröhre aussehen.» Mit einem kurzen Video auf dem Ipad erklärt sie, wie Kameraaufnahmen weiterhelfen können. Patientinnen und Patienten erhalten beispielsweise blau gefärbtes Wasser zu trinken. Sind danach auf dem Bild blaue Tropfen in der Luftröhre erkennbar, zeigt sich klar, dass die Luftröhre beim Schluckvorgang nicht genügend geschützt ist und das Wasser in die Luft- statt in die Speiseröhre fliesst.
Hilfe von verschiedenen Seiten
Andrea Meister und ihre Kolleginnen haben unterschiedliche Möglichkeiten, Patientinnen und Patienten zu unterstützen. Sie unterscheiden zwischen adaptiven, restituierenden und kompensatorischen Massnahmen. Bei Ersteren werden die Faktoren rund um das Schlucken optimiert. Die Form der Kost wird angepasst oder Trinkhilfen kommen zum Einsatz. Bei den restituierenden Massnahmen geht es um das Muskeltraining. Die Bewegungen des Schluckvorgangs werden in Einzelschritten geübt und dann wieder in den Schluckablauf integriert. Bei den kompensatorischen Techniken geht es darum, das Schlucken mit natürlichen Hilfsmitteln zu erleichtern. Etwa, indem eine andere Kopf- oder Körperhaltung trainiert wird, damit die Schwerkraft beim Schlucken mithelfen kann.
Neben der körperlichen hat Schlucktherapie für Andrea Meister auch eine soziale Komponente. «Essen ist ein sozialer Vorgang, der Menschen zusammenbringt. Wenn das Schlucken plötzlich nicht mehr klappt, ist das auch schambehaftet. Die Leute fühlen sich unwohl, wenn sie sich beim gemeinsamen Essen regelmässig verschlucken und husten müssen, und verzichten im schlimmsten Fall auf dieses Zusammensein.» Während es bei degenerativen Erkrankungen oft darum gehe, den Status quo und damit die Lebensqualität möglichst lange zu erhalten, können zum Beispiel nach einem Schlaganfall häufig wieder Erfolge erzielt werden. «Wenn ein Patient dann nach langer Zeit mit Sondennahrung plötzlich wieder ein Glace geniessen kann, ist das ein schönes Erlebnis», fasst Andrea Meister ihre Bemühungen zusammen.
Die vier Schluckphasen
- Orale Aufnahme von Speise in den Mund, kauen zu einem breiförmigen Speisebrei.
- Orale Transport der Nahrung aus der Mundhöhle in den Rachen.
- Pharyngeale Phase. Beginnt mit der Schluckreflexauslösung, Transport durch den Rachen in die Speiseröhre.
- Ösophageale Transport durch die Speiseröhre bis zum Magen.
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