Pinsel auf Gemälde
PALLIATIVE CARE

Kunsttherapie in der Palliative Care

Esther Widmer arbeitet als Kunsttherapeutin in der Palliativstation des Kantonsspitals Olten. Was als Pilotprojekt begann, hat sich in der Zwischenzeit etabliert. Die Patientinnen und Patienten haben dort die Möglichkeit zu malen oder sie „diktieren“ der Therapeutin ihre Bilder.

Im Frühling 2012 eröffnete das Kantonsspital Olten eine Palliativstation als Pilotprojekt. Im Herbst begann ich mit dem Aufbau eines Angebots für Kunsttherapie. Die Station wurde seither von sechs auf neun Betten ausgebaut und zertifiziert. Die Kunsttherapie ist ein fester Bestandteil des Therapieangebots geworden. Als ausgebildete Kunsttherapeutin in der Fachrichtung Malen und Gestalten bevorzuge ich Farben, Papier und Pinsel als Arbeitsmittel. In der Zwischenzeit sind jedoch verschiedene Klanginstrumente wie das Didgeridoo oder die Klangschale als Alternative dazugekommen.

Die Palliativstation

Die Station ist kein Hospiz und keine Pflegeabteilung mit Langzeitaufenthalten. Es werden erwachsene Patientinnen und Patienten behandelt, die im Laufe einer unheilbaren Krankheit eine Krise erleben. Man geht davon aus, dass eine solche Krise innerhalb von zwei bis drei Wochen von einem multiprofessionellen Team gelöst werden kann. Die Patientinnen und Patienten gehen danach mit entsprechend mehr Hilfe wieder nach Hause, in ein Pflegeheim oder in ein Hospiz. Verschlechtert sich der Zustand eines Erkrankten so, dass er nicht mehr verlegt werden kann, bleibt er bis zum Tod auf der Station.

Die Patientinnen und Patienten kommen mit schwerwiegenden, die Lebensqualität einschränkenden Symptomen wie Schmerzen, Übelkeit, Atemnot, extremer Schwäche und Erschöpfung. Oft sind sie psychisch belastet, ebenso ihre Angehörigen. Die relativ kurze Aufenthaltsdauer wie auch die Komplexität der Symptome haben einen Einfluss darauf wie in der Kunsttherapie gearbeitet werden kann.

Lebensqualität…

…ist das Schlüsselwort für die Zielsetzung der Kunsttherapie in der Palliative Care. Wie kann ich dazu beitragen, die individuelle Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu erhöhen? Das war und bleibt dabei meine zentrale Fragestellung.

Manchmal sehe ich eine Patientin oder einen Patienten zwei bis drei Mal, vielleicht auch nur ein einziges Mal. Ich muss also einen schnellen Zugang zu den Betroffenen finden können. Sie haben nicht nach Kunsttherapie gefragt, sondern werden von mir aufgesucht.  Ich biete darum einen möglichst niederschwelligen Einstieg. Müde, geschwächt und unter starken Medikamenten haben sie oftmals keine Kraft und Motivation, sich darauf einzulassen. Doch ihre Situation ruft geradezu nach Entlastung. Was kann ich in diesem Dilemma anbieten? In der Zwischenzeit hat es sich bewährt, dass ich mich als malende Hand zur Verfügung stelle: Sie können mir quasi ihr gewünschtes Bild diktieren. Ich male es unter ihren Augen im Dialog oder auf die nonverbalen Signale achtend mit ruhigen Bewegungen und klaren, einfachen Formen. Berührende Erinnerungsbilder können aufsteigen und finden so den Weg auf das Papier. Abwechslung im Spitalalltag, achtsame Zuwendung und Ablenkung von den immer wiederkehrenden oft sorgenvollen Gedanken können wohltuend sein. Nicht selten erlebe ich zusammen mit den Erkrankten, dass es auch in schwierigen Situationen möglich ist, Abstand zu gewinnen und sich an Schönem zu freuen.


Esther Widmer beim Mal-

Esther Widmer ist als Kunsttherapeutin an der Palliativstation des Kantonsspitals Olten tätig.

Folgender Text ist ein Abschnitt aus ihrem Buch „Mitten im Leben bis zum Schluss“. Es erscheint Mitte Oktober 2019 im Rüffer und Rub Verlag.


Barry musste zu Hause bleiben

Die ehemalige Bäuerin, ca. 70 Jahre alt, lernte ich kennen, als sie gerade Besuch hatte von zwei jungen Damen. Offenbar kannten sie sich gut. Jedenfalls pflegten sie einen vertrauten Ton. Ich stellte mich vor und erklärte, dass ich nicht stören wolle und daher später nochmals hereinschauen würde. Die Damen waren aber neugierig zu erfahren, was ich denn zu bieten hätte. Ich zeigte ihnen die Farben und sprach dabei auch von der Möglichkeit, dass ich für die Kranke ein Bild unter ihren Augen entstehen lassen könnte. Die beiden jungen Frauen schauten einander an und liessen mich wissen, dass die Bäuerin den Hofhund schmerzlich vermisste. Ich versprach, von Barry ein Bild zu malen. Es fehlte mir jedoch ein Tuch, um das Bett vor Farbklecksen zu schützen. Ich verliess das Zimmer, um eines zu besorgen. Doch als ich erneut eintrat, waren noch mehr Besucher angekommen. Darum schlug ich vor, später wieder zu kommen. Die Bäuerin gab mir aber zu verstehen, dass Barry „unverzüglich hermüsse“! So entstand das Bild des Hofhundes Barry unter den Augen der Patientin und deren fünf Besuchern. Das Bild wurde aufgehängt, die Bäuerin war zufrieden und fortan wurde nicht nur die Patientin von den Besuchern begrüsst, sondern auch Barry.

Barry, der Hund der Bäuerin

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