Melihate Hetemi lächelt in die Kamera
AUF DER NOTFALLSTATION DES SPITALS DORNACH

Man weiss nie, was als nächstes kommt

Menschen mit starken Schmerzen, Erbrechen, Schwäche oder Druck auf der Brust suchen in dieser Nacht die Notaufnahme auf. Die Herausforderungen sind aber auch das, was diese Arbeit so spannend macht.

Montagnacht, Ende September 2021, Notfallstation Spital Dornach. Schon an der Atmosphäre merkt die stellvertretende Leiterin Pflege Notfall, Melihate Hetemi, dass heute ein ruhiger Tag war und im Notfall noch einige Betten frei sind.

22.25 Uhr

Im Kleiderlager im Untergeschoss bezieht das Personal die Spitalkleidung für diese Schicht. In neutraler, weisser Kleidung betritt Melihate Hetemi den Stützpunkt. Gemeinsam mit ihr ist Assistenzärztin Janine Lindtke im Einsatz. Heute ist auch Noe Steslowicz zur Stelle. Er ist einer von elf Medizinstudierenden, die seit Januar die Nachtschicht unterstützen. Der Aufwand, den die Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 mit sich bringt, ist zu zweit in einer hektischen Nacht kaum zu bewältigen und der Einsatz wird sehr geschätzt.

22.30 Uhr

Die Spätschicht, seit halb drei Uhr nachmittags im Einsatz, übergibt an die Nachtschicht. Zu allen Personen, die jetzt im Notfall sind, gibt es einen kurzen Statusbericht mit wichtigen Hintergrundinformationen. Von einer Patientin weiss man, dass sie ein kleines Kind hat. Die Betreuungslösung sei aber nicht ideal. Sie will so schnell wie möglich nach Hause. Eine andere Patientin konnte nicht genau sagen, welche Medikamente sie eingenommen hat. Man wartet auf ein Foto, das ihre Tochter von der Hausapotheke machen will.

22.35 Uhr

Melihate Hetemi macht einen Rundgang durch die Notfallkojen und stellt sich allen Patientinnen und Patienten kurz vor. Sie fragt, wie es ihnen geht, ob sie etwas brauchen. Eine Person möchte etwas trinken, jemand muss zur Toilette. Sie wird gefragt, wie lange man noch warten müsse. «Wir geben unser Bestes. Wie lange es genau dauern wird, kann ich wirklich nicht sagen. Das ist schwierig abzuschätzen.» Sie steckt mit ihrem Lachen die Menschen an, die teilweise Schmerzen haben, besorgt oder gestresst sind.

Ein Gerät misst den Puls des Patienten

23.25 Uhr

Ein älterer Herr, der mit akuten Schmerzen im Brustbereich eingeliefert worden war, kann vom Notfall auf die Intermediate Care Station verlegt werden, wird also intensivmedizinisch betreut. Er hat bereits zwei Herzinfarkte erlitten und soll weiterhin kontinuierlich überwacht werden, ohne dass man ihn dabei weckt. Sein mobiler Monitor bleibt während des Transports angeschlossen. So behält die Pflege seine Vitaldaten auch unterwegs stets im Auge. Der Blutdruck ist wieder im normalen Bereich, sein Zustand ist stabil und die Werte sehen gut aus.

23.43 Uhr

Eine Dame im höheren Alter ist zu Hause gestürzt und konnte nicht mehr alleine aufstehen. Die Polizei hat die Tür geöffnet und die Rettungssanität brachte sie in den Notfall. Bei einem sogenannten «log roll» führte das Team eine achsstabilisierte Drehung auf die Seite durch und die Assistenzärztin tastete die Wirbelsäule ab. Dabei tat der Patientin nichts weh. Zur weiteren Abklärung möglicher Sturzfolgen wird ein Schichtröntgen mit dem Computertomografie-Gerät empfohlen.

0.25 Uhr

Eine junge Frau kann mit einem stabilisierenden Salbenverband und Schmerzmitteln entlassen werden. Auch mithilfe einer Computertomografie konnte kein Bruch gefunden werden. «Wenn Sie zu Hause den Verband neu machen, streichen Sie die Salbe wie Butter aufs Brot, es darf eine Schicht unter dem Verband bleiben» erklärt Melihate Hetemi.

Mit einem Messgerät werden die Vitalwerte kontrolliert

1.15 Uhr

Roberto Picallo schaut vorbei, um zu sehen, was ihn heute Abend in der Radiologie noch erwarten könnte. Wenn ein Röntgen oder eine Computertomografie notwendig werden, führt er diese durch. Die Bilder werden während der Nacht in Basel von Spezialisten ausgewertet. Da es im Moment ruhig ist, wird er sich im Piquettzimmer für ein paar Stunden hinlegen. Heute wird ihn Janine Lindtke jedoch um kurz nach drei Uhr wieder wecken müssen.

1.29 Uhr

Eine Pflegefachfrau ruft aus der Abteilung E an. Eine Patientin hat blutig erbrochen. Die Assistenzärztin geht vorbei und prüft, welche Massnahmen sinnvoll sind.

1.40 Uhr

Die Auswertung der Computertomografie für die ältere Patientin ist eingetroffen. Es wurde eine Wirbelsäulenfraktur festgestellt. Offen bleibt, ob es ein älterer oder ein neuer Bruch ist. Janine Lindtke prüft erneut die Reflexe in Beinen und Füssen. Die Ergebnisse der Tests sind erfreulich, Reflexe und Mobilität sind gegeben. Die ältere Dame kann in die Chirurgie-Abteilung verlegt werden.

2.10 Uhr

Die stellvertretende Leiterin Pflege Notfall Melihate Hetemi und Medizinstudent Noe Steslowicz essen etwas, während die diensthabende Assistenzärztin Janine Lindtke sich um eingehende Anrufe und hausinterne medizinische Anfragen kümmert. Man stellt fest, dass die auf die Jahreszeiten abgestimmte Dekoration den Leuten fehlt. Es ist nicht das einzige, auf das aus Pandemiegründen verzichtet werden muss. Wenn die Pflegefachleute mit dem Handrücken die Temperatur eines Patienten einschätzen oder kurz sein Handgelenk drücken, atmen die Personen sofort ruhiger und entspannen sich ein bisschen. Die derzeit notwendige Distanz erschwert die wichtige Aufgabe, den Patienten Sicherheit zu geben und sie zu beruhigen.

Junge Frau wird im Rollstuhl in den Notfall gebracht

2.33 Uhr

Die Werte beim älteren Patienten bleiben erfreulich. Er wird am darauffolgenden Tag nach Hause gehen können, wenn sein Gesundheitszustand weiterhin so gut bleibt. Plötzlich klingelt das Telefon. Eine Frau kündigt an, dass sie vorbeikommen wird, da sie seit Tagen immer wieder erbrechen muss.

3.05 Uhr

Ein älterer Herr bringt, wie bereits telefonisch angekündigt, seine Frau in den Notfall. Beim Eintreten erhält sie eine Maske, desinfiziert sich die Hände und ihr Impfstatus wird abgefragt. Dann darf sie im Rollstuhl direkt in die Koje, wo sie an den mobilen Monitor kommt zur Überwachung ihrer Vitalwerte. Auch ein EKG wird gemacht. Danach nimmt Melihate Hetemi Blut ab und verabreicht über eine Infusion ein Medikament gegen Übelkeit. Erst danach werden die Formalitäten erledigt. Dank der Krankenkassenkarte ist das schnell gemacht.

3.17 Uhr

Der Patient auf der Station E erbricht zum zweiten Mal blutig. Sein Hämoglobinwert ist um 20 abgefallen und die Assistenzärztin untersucht ihn erneut. In Absprache mit dem Kaderarzt im Piquettdienst ordnet sie nun eine Computertomografie für Abdomen und Becken an. Danach wird es ruhig.

6.35 Uhr

Ein junger Mann meldet sich an. Trotz einer Verletzung vom Vortag wollte er heute arbeiten, aber die Schmerzen an der Hand waren zu stark. Dieser Fall bestätigt die Erfahrungswerte am Notfall, die zeigen, dass sich Eintritte morgens bei Arbeitsbeginn und um den Feierabend herum häufen. Im Röntgenbild ist kein Bruch nachweisbar. Die Tagschicht wird ihn mit stärkeren Schmerzmitteln und einem Salbenverband bald wieder entlassen können.

Aufnahmepflicht

Die Solothurner Spitäler haben einen Notfallversorgungsauftrag. Sie sind damit verpflichtet, Patientinnen und Patienten an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr aufzunehmen. Bei jedem notfallmässigen Eintritt eines Patienten muss dabei die ärztliche Versorgung sichergestellt sein. Notfallstationen spielen eine zentrale und wichtige Rolle im Schweizer Gesundheitssystem.

 

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