7 Fragen an den Psychiater
«Ein stationärer Aufenthalt
wirkt wie ein Gips»
In der Psychiatrie gibt es beim Austritt oft Unsicherheiten. Wie schaffe ich es, im Alltag wieder Fuss zu fassen? Was tun, bei einer erneuten Krise? Wichtig sei darum, schon beim Eintritt das Austrittsziel festzulegen, so Dr. med. Mussa Hamad.
Mussa Hamad, wie wird in der Psychiatrie der Zeitpunkt bestimmt, wann eine Patientin, ein Patient wieder nach Hause darf?
Das hängt von den Umständen ab, weshalb und wie jemand zu uns gekommen ist. Zu Beginn des Aufenthaltes definieren wir immer mit der Patientin oder dem Patienten zusammen das Ziel. Ausgehend von diesem Ziel erstellen wir einen individuellen Behandlungsplan, der den Weg aufzeigt, was erreicht werden muss, damit jemand für den Austritt nach Hause bereit ist.
Können Sie Beispiele schildern?
Auf der Gerontostation, wo wir betagte Menschen mit psychischen Krankheitsbildern behandeln, ist es wichtig, dass wir zusammen mit den Patientinnen und Patienten sogenannte Psychoedukation betreiben. Wir schulen die Betroffenen zusammen mit ihren Angehörigen darin, wie sie mit der Krankheit umgehen können. Dabei steht auch eine gute Zusammenarbeit mit den Alters- und Pflegeheimen im Mittelpunkt der Behandlung, um sicherzustellen, dass die Patientin oder der Patient in das richtige Setting entlassen wird.
Auf der Abhängigkeitsstation zum Beispiel werden Patientinnen und Patienten mit dem Ziel der Entzugsbehandlung behandelt. Das heisst, wir begleiten sie dabei, auf ihr Suchtmittel wie Alkohol und/oder Medikamente oder andere Substanzen zu verzichten. Manche werden daher nach dem Austritt bei uns zur anschliessenden Entwöhnungstherapie angemeldet, wenn es darum geht, den Suchtursachen auf den Grund zu gehen und langfristig abstinent zu bleiben. Und einige möchten eine weitere Behandlung für andere Begleiterkrankungen. Oder auf der Kriseninterventionsstation, als drittes Beispiel, wird für den Austritt jeweils ein Krisenplan erstellt. So erhält die Patientin oder der Patient die notwendigen Kompetenzen, um nach dem Austritt seine nächste Krise bewältigen oder ihr begegnen zu können. Der Zeitpunkt des Austritts ist also immer sehr individuell – aber nie unvorbereitet.
Wie erleben Patientinnen und Patienten die Rückkehr nach Hause. Freuen sie sich jeweils oder sehen sie dem Austritt eher mit Sorge entgegen?
Das ist sehr unterschiedlich. Ich würde sagen, dass sich die Mehrheit der Patientinnen und Patienten Sorgen macht, sobald es um den Austritt geht. Deshalb ist eine gute Austrittsplanung der Schlüssel zu einer effektiven Behandlung. Hier in der Klinik sind sie umgeben von einem unterstützenden interdisziplinären Team bestehend aus Ärztinnen, Psychologen, Pflegepersonal, Sozialarbeiterinnen und Spezialtherapeuten. Der stationäre Aufenthalt wirkt für die Patienten also wie ein Gips. Die grösste Herausforderung besteht darin, dem Patienten genügend Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit er in der Lage ist, Stresssituationen zu Hause ohne diesen Gips zu bewältigen.
Gibt es auch den begleiteten Austritt?
Wir führen auf einigen Stationen kurz vor dem Austritt sogenannte Probetage durch, bei denen die Patienten für einen Tag nach Hause gehen oder über Nacht beurlaubt werden. Wir sprechen anschliessend mit ihnen darüber, was gut gegangen ist und ob es noch weitere Bedürfnisse gibt, die vor dem Austritt erfüllt werden sollten. Dadurch können sie sich Schritt für Schritt auf die Zeit zu Hause vorbereiten.
Was muss bei einem Austritt alles organisiert werden?
Gegen Ende des Aufenthaltes nimmt der Fallführer Kontakt mit der Hausärztin oder dem Hausarzt des Patienten auf, um über den stationären Verlauf, medikamentöse Veränderungen und somatische Auffälligkeiten zu informieren. Das Pflegepersonal orientiert je nachdem die Spitex, die Betreuungsinstitution für beeinträchtigte Menschen oder das Alters- und Pflegeheim. Auch die Sozialarbeitenden der Psychiatrischen Dienste nehmen nach Rücksprache mit den Betroffenen Kontakt mit den Angehörigen oder den Pflegeinstitutionen auf. Wir behandeln in der Regel Menschen mit komplexen psychiatrischen und körperlichen Erkrankungen, daher spielt eine effektive Kommunikation mit allen Beteiligten eine zentrale Rolle. Als Fallführer fügt der psychiatrische Assistenzarzt alle Teile des Puzzles zusammen. Diese Art der Austrittsplanung gewährleistet eine sanfte Landung des Patienten nach dem Aufenthalt bei uns.
Wie wichtig ist das Angebot der Psychiatrie-Spitex?
Die Psychiatrie-Spitex wird häufig in der Nachsorge eingesetzt. Sie ist besonders hilfreich bei der Unterstützung und Begleitung zur Bewältigung von Krisen und schwierigen Lebensphasen und gibt dem Behandlungsteam im Falle einer späteren Einweisung einen objektiven Einblick, wie der Patient in seinem häuslichen Umfeld funktioniert.
Was können Patientinnen und Patienten tun, wenn sie zu Hause plötzlich in eine Krise geraten?
In der Regel empfehlen wir, sich zunächst an ihre ambulante Psychiaterin, den Psychologen oder die Hausärztin zu wenden, welche die Krankengeschichte der Klientin oder des Klienten gut kennen und die Notwendigkeit einer Überweisung in eine Klinik beurteilen können. Sollten diese nicht erreichbar sein, empfiehlt es sich, direkt in der Klinik anzurufen, wo das Triage-Team die Notwendigkeit einer telefonischen Beratung oder einer stationären Aufnahme beurteilt.
Bei Notfällen mit akuter Selbstgefährdung wie zum Beispiel Suizidabsichten wird der Patient aufgefordert, die Klinik direkt anzurufen. Ist die Patientin oder der Patient bei einer akuten Selbst- oder Fremdgefährdung nicht bereit, freiwillig in die Klinik zu kommen, wird den Angehörigen empfohlen, die Polizei oder den Rettungsdienst zu rufen. Diese wiederum können einen Notfallpsychiater hinzuziehen, damit dieser beurteilt, ob eine Fürsorgerische Unterbringung angebracht ist. Das Ziel einer fürsorgerischen Unterbringung ist immer die rasche Wiedererlangung der Selbständigkeit und der eigenen Verantwortung.
Über Dr. med. Mussa Hamad
Dr. med. Mussa Hamad ist Psychiater an den Psychiatrischen Diensten der Solothurner Spitäler, Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Er wuchs in Israel auf, studierte Medizin in Ungarn, absolvierte Ausbildungsjahre in New York, Wien und Israel und arbeitet als Assistenzarzt in Solothurn.
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