Alzheimer
Ein gutes Leben im Hier und Jetzt
Wer an Demenz erkrankt, verliert mit der Zeit die Orientierung – örtlich, zeitlich, aber auch zur eigenen Person. Prof. Dr. med. Martin Hatzinger ist Chefarzt der Psychiatrischen Klinik in Langendorf. Im Interview erklärt er, warum das Leben auch mit Demenz lebenswert sein kann.
Herr Hatzinger, was bedeutet es, die Diagnose Demenz zu erhalten?
Martin Hatzinger: Zu Beginn der Erkrankung sind oft noch keine starken Einschränkungen spürbar. Eine fortgeschrittene Demenz jedoch bringt viele kognitive Einschränkungen mit sich. Die Auffassungsgabe und die Handlungsabläufe sind beeinträchtigt; es kommt zu Wortfindungs- oder Sprachstörungen. Teil der Demenz sind auch Orientierungsstörungen. Die Betroffenen verlieren sich örtlich, aber auch zeitlich oder situativ. Das bedeutet, sie können sich nicht mehr daran erinnern, in welchem Jahr sie sich befinden, oder sie können Alltagssituationen nicht mehr richtig einordnen. Auch Informationen zur eigenen Person können verloren gehen, etwa das Geburtsjahr oder der Familienstand oder sogar die eigene Lebensgeschichte.
Die Krankheit entwickelt sich schrittweise. Wie wichtig ist es, sie früh zu erkennen?
Sehr wichtig. Wird die Krankheit früh erkannt, kann die Medizin unterstützend eingreifen und den Betroffenen helfen, länger selbstständig zu leben. Die Früherkennung ist auch für die Angehörigen von Bedeutung, da sie Verhaltensveränderungen besser einordnen können. Eine frühzeitige Diagnose ist auch in Bezug auf die Urteilsfähigkeit der betroffenen Person entscheidend. Wichtige Entscheidungen, wie das Verfassen eines Testaments, können nur getroffen werden, solange die Betroffenen noch im Hinblick auf dieses Beispiel als urteilsfähig gelten. Das ist beim genannten Beispiel in fortgeschritteneren Stadien in der Regel nicht mehr der Fall.
Wie kann die Krankheit früh erkannt werden?
Wenn man im Alltag bemerkt, dass man häufig Dinge vergisst und das Gefühl hat, dass etwas nicht mehr stimmt, sollte man dies nicht ignorieren. Eine frühzeitige Abklärung ist wichtig, um die richtigen Massnahmen ergreifen zu können. Von aussen ist eine Diagnose, besonders im Frühstadium, oft schwer erkennbar. Die Krankheit beginnt häufig mit depressiven Symptomen, die Betroffenen fühlen sich antriebslos. Angehörigen fällt diese Apathie oft auf. Die Diagnose ist deshalb nicht einfach, weil auch eine klinische Depression zu Antriebslosigkeit führen und das Gedächtnis vorübergehend beeinträchtigen kann. Eine schnelle Differentialdiagnose ist daher wichtig. Ich sage meinen Studierenden immer: Wenn eine ältere Person, die zuvor nie depressive Symptome gezeigt hat, plötzlich darunter leidet, sollte eine Demenz in Erwägung gezogen und entsprechend abgeklärt werden.
Wie können Betroffene und ihre Angehörigen mit der Diagnose umgehen?
Wichtig ist es, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass man auch mit einer Demenz noch Lebensqualität haben kann. Die Diagnose bedeutet nicht, dass alles zusammenbricht. Jeder Mensch hat sein Schicksal, aber bei einer Demenz hat man noch eine längere Lebensphase vor sich, in der es viele schöne Momente geben kann.
Wie geht es nach der Diagnose weiter?
Die Aufgabe der Therapie ist es, die noch vorhandenen Fähigkeiten zu fördern und zu stärken. In unseren alterspsychiatrischen Tageskliniken in Olten und Solothurn machen wir
auch Gedächtnistraining, zum Beispiel mit Memory-Spielen. Wer das Gehirn trainiert, kann es länger aktiv halten. Auch wissen wir, dass regelmässige soziale Kontakte und gemeinsame Aktivitäten Krankheitsverläufe verbessern können. Demenzkranke profitieren zudem von einer geregelten Tagesstruktur, wie sie in unseren Tagekliniken, aber auch in Alters- und Pflegeheimen oder Tagesstätten angeboten wird. Es ist auch sehr wichtig, die Angehörigen zu unterstützen. Beispielsweise bietet die Alzheimervereinigung Beratungsstellen an. Eine grosse Herausforderung für die Angehörigen ist es, dass sich die Betroffenen nicht mehr an ihre Umgebung anpassen können. Die Umgebung muss sich an die Betroffenen anpassen. Wenn diese den Alltag nicht mehr wie gewohnt bewältigen können, fordert es die Angehörigen deshalb oft auch sehr stark emotional. Gerade in diesen Situationen ist manchmal professionelle Hilfe gefragt.
Hören Sie unseren Podcast „SO gesund“
Demenz als Begriff ist bekannt. Sie wirklich zu erkennen, ist hingegen anspruchsvoll. Denn es kommt auf die Persönlichkeit und auch auf überlagerte Stimmungen bei der Patientin oder dem Patienten an.
«Wenn ich mal etwas verlegt habe, heisst es nicht, dass ich gleich dement bin», weiss Dr. med. Julijana Vukasinovic. In diesem Podcast mit Dominik Lüdi erzählt sie vom Umgang mit den über 100 Formen von Demenzerkrankungen.
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