Pflege
Zeitinsel im Pflegealltag
Dr. Marianne Frech, Leiterin Pflegeentwicklung in der soH, über Herausforderungen, Chancen und wichtige Momente im Spital.
Es ist eine Entwicklung, die in der Schweiz schon länger bekannt ist: Es gibt einen Mangel an Pflegekräften im Land. Bis ins Jahr 2030, so eine Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums, könnten in der Schweiz rund 65 000 Pflegekräfte fehlen. Hauptursachen für den Pflegenotstand in der Schweiz sind einerseits die Bevölkerung, die immer älter wird und so mehr Pflegeleistungen benötigt, und andererseits die Arbeitsbedingungen in der Pflege, die die vielfach als physisch und psychisch belastend erlebt werden. So gehören Schichtarbeit, Überstunden und eine hohe Arbeitsbelastung im Spital zum Alltag. Entsprechend brauchen gerade junge Pflegekräfte eine hohe Resilienz, um sich den Anforderungen gegenüber gewachsen zu fühlen.
Zeitinseln für sozialen und emotionalen Austausch
Marianne Frech, Leiterin Pflegeentwicklung in der soH, kennt diese Herausforderungen. Der Pflege beruf, so erzählt sie, habe sich in der Vergangenheit schon mehrfach an die gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen müssen, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleisten zu können. «Früher war das Pflegepersonal zum Bei spiel auch für die Verpflegung im Spital verantwortlich. Heute liegt der Fokus auf der Pflege, und das ist auch dringend notwendig. So schaffen wir es nach wie vor, den Patientinnen und Patienten Zeit zu schenken, wenn sie diese brauchen.»
Um im Alltag genügend Zeit für diesen wertvollen Kontakt zwischen den Pflegenden und den Patienten zu schaffen, orientiert sich das Pflegekonzept der soH am Modell der Personzentrierten Praxis. Bei diesem Ansatz werden neben der medizinischen und pflegerischen Versorgung auch die emotionalen und sozialen Aspekte der Betreuung betont. Das Pflegepersonal geht auf die emotionalen Bedürfnisse der Patientinnen, Patienten und Angehörigen ein, baut gezielt eine Beziehung zu ihnen auf und bietet Trost und Unterstützung.
Marianne Frech ist überzeugt, dass dieses Modell viel Positives in den Alltag bringt. Sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für die Pflegenden. «An diese Minuten, die man bewusst gestaltet und verbringt und die für das Gegenüber eine Bedeutung haben, erinnert man sich später zurück. Wir schaffen Momente der Nähe, auch in stressigen Situationen. Wenn man sich für einen Pflegeberuf entscheidet, dann tut man das, weil man Freude an der Begegnung mit Menschen hat. Man nimmt sich die Zeit für die Gespräche. Solche Momente sind für alle Beteiligten von Wichtigkeit. Vor allem, wenn es dabei gelingt, Unsicherheiten zu klären oder in Momenten von Angst oder Trauer hinzuhören und sorgend präsent zu sein, sollte das Gespräch nicht als Luxus, sondern als Notwendigkeit wahrgenommen werden. Im Spital geht es häufig um Ausnahmesituationen, um Menschen, die in einer Krise sind. Da braucht es Zeit für diese Nähe.» Diese Zeitinseln, respektive kostbaren Momente mit den Patientinnen und Patienten, könnten ein entscheidendes Element sein, um das Pflege personal im Beruf zu halten. Ausserdem müssen sich laut Marianne Frech auch die Rahmenbedingungen in Zukunft so gestalten, dass die Pflegen den gerne in ihrem Beruf bleiben. Das sei wichtig, damit sich in Zukunft nicht immer mehr Arbeit auf immer weniger Schultern verteilt. «Ich wünsche mir für die Zukunft, dass die jungen Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger sehen und spüren, dass ihr Beruf wichtig ist», fasst die Leiterin Pflegeentwicklung zusammen. «Ich hoffe, dass sie ihr Privatleben und ihren Beruf unter einen Hut bringen und dass sie weiterhin den Menschen in den Mittelpunkt stellen können. So werden sie ihren Beruf, der nun mal kein Nine-to-five-Job ist, gerne machen.»
Vivenne Kocher ist diplomierte Pflegefachfrau und arbeiten am Bürgerspital Solothurn. Im Video gibt Sie einen Einblick in Ihre Arbeit.
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